Pandemiebedingte Schließungen von Kitas und Schulen sollte künftig nur noch in extremen Krisensituationen in Erwägung gezogen werden. Das fordert der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen nachdrücklich. Bund und Länder müssten bei allen künftigen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung das Wohl von Kindern und Jugendlichen umfassend berücksichtigen.
„Kinder und Jugendliche hatten in den letzten zweieinhalb Jahren der Pandemie eine besonders große Last zu tragen“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt (Foto) auf dem Ärztetag. Die Pandemie trifft Kinder und Jugendliche aufgrund der sensiblen Entwicklungsphasen in diesen Lebensabschnitten in besonderer Weise. „Wir wissen heute, welche enormen Schäden die Schul- und Kita-Schließungen, diese monatelange Isolation durch die Kontaktbeschränkungen bei Kindern und Jugendlichen angerichtet haben“, betonte Reinhardt. Die Folgen seien beispielsweise Zukunftsängste, erhöhter Leistungsdruck und Vereinsamung. Familiäre Spannungen, Konflikte und häusliche Gewalt hätten zugenommen. Mit Blick auf den Herbst und mögliche neue Virusvarianten forderte Reinhardt: „Wir müssen Strategien entwickeln, um Kitas und Schulen offen zu halten und den Heranwachsenden auf diese Weise ein weitgehend normales Leben ermöglichen.“
Die Abgeordneten des Ärztetages forderten die Einrichtung eines Expertenrates, um konkrete Maßnahmen für die Bundes- und Landesebene zu entwickeln. Die Expertise der Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie sei dabei zwingend einzubeziehen. Außerdem bedürfe es etwa einer Stärkung und adäquaten Finanzierung der Netzwerkarbeit zwischen Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Schule, Schulsozialarbeit und Jugendamt sowie Öffentlichem Gesundheitsdienst auf Landes- und kommunaler Ebene.
Das Schwerpunktthema des Ärztetages berieten die Abgeordneten gemeinsam mit ausgewiesenen Experten der Pädiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie: Prof. Dr. Reinhard Berner, Dresden, Univ.-Prof. Dr. Fred Zepp, Mainz, Prof. Dr. Dr. Martin Holtmann, Hamm, und Dr. Annic Weyersberg, Köln (siehe Videos).
Lehren aus der Pandemie ziehen
Die Corona-Pandemie hatte „unerwünschte Kollateraleffekte auf die psychische und physische Gesundheit“ der Bevölkerung insgesamt. Der Ärztetag forderte deshalb in einem weiteren Beschluss die politisch Verantwortlichen von Bund und Ländern auf, „die bisher getroffenen Schutzmaßnahmen unter Einbezug der Ärzteschaft einer systematischen und wissenschaftlich fundierten Analyse zu unterziehen und das nationale Pandemiemanagement entsprechend anzupassen und zu optimieren“.
Aus Sicht der Ärzteschaft müsse „prioritär und dringend“ die Kommunikation zwischen Politik, Wissenschaft und medizinischer Praxis sowie die Aufklärung der Bevölkerung verbessert werden. Darüber hinaus bedürfe es einer wesentlich besseren Datenlage. Dazu gehöre eine Analyse der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen während der Lockdown-Maßnahmen und im Pandemieverlauf. Kritisch analysiert werden müsse zudem, zu welchem Zeitpunkt das Gesundheitssystem in welchen Sektoren überlastet gewesen war und welche Maßnahmen sich zum Schutz des Gesundheitssystems bewährt haben.
Foto/Text Bundesärztekammer