Essen – Die ärztliche Profession wird und wurde immer schon mehr als andere Berufe von gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen sowie wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen beeinflusst. Der 127. Deutsche Ärztetag hat sich gestern intensiv mit der ärztlichen Freiberuflichkeit und den zentralen Herausforderungen für die freiheitliche ärztliche Berufsausübung befasst.
Freiberuflichkeit beruht auf Faktoren wie ärztlichem Berufsethos, Gemeinwohlorientierung und spezifisch ärztlicher Fachkompetenz. Daraus leiten sich Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bei ärztlichen Entscheidungen, aber auch eine hohe Verantwortung für diese Entscheidungen ab. Herausgefordert wird Freiberuflichkeit zum Beispiel durch die zunehmende Kommerzialisierung der Medizin, die ausufernde Bürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit sowie die neuen digitalen Möglichkeiten, wie dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Patientenversorgung. Auf Grundlage eines Gastreferats von Peter Müller, Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, wurde außerdem die Bedeutung einer modernen ärztlichen Selbstverwaltung für die Sicherung und Weiterentwicklung einer patientengerechten Gesundheitsversorgung beraten.
„Freiheit und Verantwortung bilden eine Einheit, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Diese Einheit, das ist unsere Freiberuflichkeit, die für alle Ärztinnen und Ärzte gilt, ganz egal wo, in welcher Stellung und in welchem Setting sie tätig sind“, stellte Bundesärztekammer-Vizepräsident Dr. Günther Matheis klar, der gemeinsam mit Bundesärztekammer-Vizepräsidentin Dr. Ellen Lundershausen durch den Tagesordnungspunkt führte. „Wir sollten nicht müde werden, innerhalb der Ärzteschaft und der Politik den hohen Wert der Selbstverwaltung immer wieder deutlich zu machen. Wir müssen die Freiberuflichkeit als Maßstab unserer ärztlichen Tätigkeit bewahren und unsere jungen Kolleginnen und Kollegen unterstützen, die sich in der Selbstverwaltung engagieren wollen“, sagte Bundesärztekammer-Vizepräsidentin Dr. Ellen Lundershausen (Foto).
In einer mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Resolution stellte der 127. Deutsche Ärztetag klar: „Die individuelle Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfordert Rahmenbedingungen, die eine freie Berufsausübung sicherstellen.“ Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen trotz steigendem Behandlungsbedarf und staatsdirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung führten derzeit zu enormer Arbeitsverdichtung und vielfach auch Überlastung der Berufe im Gesundheitswesen. Umso wichtiger sei der frühzeitige Einbezug des ärztlichen Sachverstandes in alle gesundheitspolitischen Reformvorhaben und in deren Umsetzung. „Die Landesärztekammern und die Bundesärztekammer als ihre Arbeitsgemeinschaft bündeln diesen medizinisch-fachlichen Sachverstand und das ärztliche Versorgungswissen aus allen Versorgungsbereichen und Fachgebieten“, heißt es in der Resolution.
„Diese Einbindung ist eine grundlegende Voraussetzung für eine medizinisch-wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige, auf ethischen Normen und Werten beruhende, verantwortliche und patientenzentrierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land“, heißt es in dem Beschluss des Ärzteparlaments.
Die Essener Resolution für Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession im Wortlaut:
„Der ärztliche Beruf ist […] seiner Natur nach ein freier Beruf.“ (§ 1 Abs. 2 BOÄ und § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 MBO-Ä)
Ärztinnen und Ärzte üben unabhängig von Stellung und Ort der ärztlichen Tätigkeit einen freien Beruf aus. Diese Freiberuflichkeit ergibt sich aus dem Selbstverständnis der ärztlichen Profession. Grundlegend dafür sind das ärztliche Berufsethos, die Gemeinwohlorientierung der ärztlichen Tätigkeit und die spezifisch ärztliche Fachkompetenz, aus denen sich die Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bei ärztlichen Entscheidungen ableiten. Ärztinnen und Ärzte richten ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten aus, unabhängig von kommerziellen Erwartungshaltungen Dritter.
Die ärztliche Profession beruht auf einer akademischen Ausbildung mit Approbation, einer hochqualifizierten Weiterbildung und kontinuierlichen Fortbildung. Ärztinnen und Ärzte erwerben und erweitern ihre Berufserfahrung im Austausch mit ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie den Angehörigen der anderen Gesundheitsberufe. Im Zentrum stehen die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich auf die Individualität der Patientinnen und Patienten und deren Behandlungsbedarf einzulassen und mit ihnen gemeinsam die bestmögliche Therapie zu finden.
Die individuelle Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfordert allerdings Rahmenbedingungen, die eine freie Berufsausübung sicherstellen. Die Freiheit, für das Wohl der Patientinnen und Patienten zu handeln, ist das Fundament der besonderen Vertrauensbeziehung der Patientinnen und Patienten zu ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Freiberuflichkeit findet ihren Ausdruck in der persönlichen Verantwortung, die Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten gegenüber übernehmen.
Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession sind untrennbar mit der ärztlichen Selbstverwaltung als Organisationsprinzip verbunden. Das ärztliche Gelöbnis und die Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte legen die Selbstverpflichtung zu Erhalt und Förderung des Vertrauens zu den Patientinnen und Patienten, zur Sicherstellung der Qualität ärztlicher Tätigkeit im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung, zur Wahrung der Freiheit und des Ansehens des Arztberufes sowie zur Förderung berufswürdigen Verhaltens fest. Die Ärztekammern stehen für das Prinzip der professionellen Selbstkontrolle, für die Einhaltung der ärztlichen Standards und ethischen Grundsätze und damit für die Qualität einer patientenzentrierten medizinischen Versorgung.
Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen trotz steigendem Behandlungsbedarf, eine zunehmende Kommerzialisierung in der Medizin, staatsdirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung sowie eine überbordende Kontrollbürokratie führen derzeit jedoch zu enormer Arbeitsverdichtung und vielfach auch Überlastung der Berufe im Gesundheitswesen. Eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau für eine sich im demografischen Wandel befindende Gesellschaft ist unter diesen Voraussetzungen auf Dauer nicht zu gewährleisten.
Umso wichtiger ist der frühzeitige Einbezug des ärztlichen Sachverstandes in alle gesundheitspolitischen Reformvorhaben und in deren Umsetzung. Die Landesärztekammern und die Bundesärztekammer als ihre Arbeitsgemeinschaft bündeln diesen medizinisch-fachlichen Sachverstand und das ärztliche Versorgungswissen aus allen Versorgungsbereichen und Fachgebieten. Mit dieser Kompetenz ist ein frühzeitiger Praxischeck hinsichtlich der Konsequenzen einer Reform möglich, können Verwerfungen vermieden und für die Patientenversorgung praxistaugliche Lösungen gefunden werden.
Die Ärzteschaft fordert eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren. Diese Einbindung ist eine grundlegende Voraussetzung für eine medizinisch-wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige, auf ethischen Normen und Werten beruhende, verantwortliche und patientenzentrierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land.
Foto (c) Bundesärztekammer