Wer in Deutschland zum Mindestlohn arbeitet, hat auch künftig in jedem Fall deutlich mehr Geld zur Verfügung als Haushalte, die ausschließlich Bürgergeld beziehen. Wie groß der Abstand ist, zeigen neue Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) für das ARD-Magazin MONITOR (Donnerstag, 21:45 Uhr). Der Unterschied liegt in allen berechneten Konstellationen bei mehreren hundert Euro.
Die zum 1. Januar 2024 anstehende Erhöhung des Bürgergeldes um rund 12 Prozent beim Regelsatz hatte in den letzten Wochen eine alte Debatte neu entfacht: Weil die Sozialleistungen so hoch seien, lohne es sich für Mindest- und Niedriglohnbezieher oft gar nicht mehr zu arbeiten, sagten etwa führende Oppositionspolitiker. CDU-Chef Merz hatte im Bundestag behauptet, dass Menschen “mit staatlichen Transferleistungen am Ende des Jahres mehr herausbekommen, als wenn sie in einer einfachen Beschäftigung arbeiten.”
Tatsächlich haben auch nach der Erhöhung des Bürgergeldes alle Haushalte, in denen mindestens eine Person arbeitet, deutlich mehr Geld zur Verfügung. Bei Alleinstehenden sind es im Durchschnitt 532 Euro, bei Familien mit drei Kindern zwischen 446 und 788 Euro – abhängig vom Alter der Kinder.
Verglichen wurden unterschiedliche Konstellationen von Haushalten, in denen ein Verdiener in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, mit sogenannten Bedarfsgemeinschaften, die Bürgergeld beziehen und in denen kein Erwerbseinkommen erzielt wird. Dabei wurde eine bundesweit durchschnittliche Miete zugrunde gelegt und zusätzliche staatliche Leistungen wie Kinderzuschlag oder Wohngeld mit berücksichtigt.
“Wir haben festgestellt, dass man in allen diesen denkbaren Konstellationen mehr Geld hat, wenn man arbeitet, und dass der Abstand teils auch sehr deutlich ist”, sagt Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin am WSI. Einen Anreiz, wegen des Bezugs von Bürgergeld nicht zu arbeiten, sieht sie daher nicht. Die Berechnung zeige, dass die Debatte “mit falschen und polarisierenden Zahlen” geführt werde.
Weil die Bundesregierung infolge des starken Anstiegs der Verbraucherpreise der vergangenen Jahre die Inflation bei den Bedarfssätzen früher berücksichtigt als in den Vorjahren, fällt die anstehende Erhöhung zwar ungewöhnlich hoch aus. Tatsächlich haben sich Mindestlohn und Bürgergeld (früher Hartz-IV) im Verhältnis aber kaum auseinander entwickelt. Seit der Einführung des Mindestlohns 2015 ist dieser von 8,50 Euro auf geplante 12,41 Euro Anfang 2024 gestiegen, ein Plus von 46%. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Regelsatz für das Bürgergeld (ehemals Hartz IV) für Alleinstehende um 41,1 Prozent. Der Lohnabstand hat sich also in der Gesamtbetrachtung kaum verändert.