Bildungsgewerkschaft zur internationalen Schulleistungsstudie PISA 2022
Frankfurt a.M. – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt mit Blick auf die ernüchternden PISA-Befunde dringend eine konsequente individuelle Förderung der Kinder und jungen Menschen an. Dafür müssten die Anstrengungen, den Lehr- und Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen, deutlich erhöht werden. Zudem schlägt die GEW einen Masterplan gegen Bildungsarmut und soziale Ungerechtigkeit vor. Dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen vom Elternhaus seit über 20 Jahren nicht verringert hat, bezeichnetet die Bildungsgewerkschaft als „Skandal“.
„Die PISA-Ergebnisse sind für die Lebens- und Berufschancen vieler Schülerinnen und Schüler sehr problematisch, für die Schulpolitik beschämend“, sagte Anja Bensinger-Stolze (Foto), GEW-Vorstandsmitglied Schule, am Dienstag in Frankfurt a.M. „Deutschland hat seit Jahrzehnten sowohl ein Leistungs- als auch ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem. Fatal ist: Nach einigen leichten Verbesserungen in den PISA-Runden in den 2000er-Jahren sind wir ungebremst wieder auf dem Niveau von vor 22 Jahren angekommen. Das ist eine schulpolitische Bauchlandung.“ Bensinger-Stolze schlug unter anderem eine durchgängige Förderung der Grundkompetenzen vor, die weder nach der Grundschule noch vor dem Schultor aufhöre, und verlangte, soziale Hürden im Schulsystem abzubauen.
„Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat – als Reaktion auf die erste PISA-Studie in 2001 – den Fokus zu sehr auf das Thema ‚Qualitätsentwicklung und Standardisierung‘ gelegt und viel zu wenig auf andere Handlungsfelder wie die Sprach- und Leseförderung, die wirksame Unterstützung benachteiligter Kinder und die Ganztagsschulentwicklung gesetzt“, erläuterte die GEW-Schulexpertin.
„Anstatt immer wieder die Alarmglocken neu zu läuten und das ‚Scheitern‘ von Schülerinnen und Schülern zu beklagen, müssen wir die Fehler im System analysieren – und beheben“, betonte Bensinger-Stolze. Mit Blick auf die frühe Selektion, die sozial ungerechte Finanzierung des Schulsystems und den eklatanten Personalmangel unterstrich sie: „Der ‚Output‘ wird nicht besser, wenn der ‚Input‘ nicht stimmt. Die Schülerleistungen werden sich nie in der Breite verbessern, wenn wir die Kinder weiterhin so früh auf hierarchische Schulformen aufteilen. Es ist ein Fehler zuzulassen, dass sich soziale und personelle Probleme in bestimmten Schulen stark konzentrieren. Wer hier zu wenig unternimmt oder gar spart, muss sich nicht wundern, dass so viele Schülerinnen und Schüler durchs Netz fallen und später Fachkräfte fehlen“, sagte die GEW-Expertin. Das Startchancenprogramm der Bundesregierung sei nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, wenn es nicht verstetigt und Teil des Systems werde.
„Die unzureichenden Matheleistungen spiegeln den Lehrkräftemangel wider. Laut der in der PISA-Studie befragten Schulleitungen hat sich der Anteil der Schulen, die über Lehrkräftemangel oder ungenügend ausgebildete Lehrkräfte klagen, seit 2018 deutlich erhöht“, hob Bensinger-Stolze hervor. „Es sind massive Anstrengungen notwendig, um viel mehr Lehr- und Fachkräfte zu gewinnen: Das Thema gehört ganz oben auf die Agenda!“ Zudem müsse die Debatte über die Qualität von Schule über das Prüfen und Vergleichen von Leistungen hinausweisen. „Schulqualität muss genauer daraufhin untersucht werden, wie gut die Schule alle Kinder – unabhängig von deren sozialer Lage oder Wohnort – fördert, wie bedarfsgerecht Ressourcen und Personal verteilt und wie gut Lern- und Arbeitsbedingungen ausgestaltet sind. Gute Bildung und gute Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille“, betonte die Schulexpertin.
Foto (c) Kay Herschelmann
Text: GEW