Osnabrück (ots) – Der langjährige Kinderärztepräsident Thomas Fischbach (Foto) hat zum vierten Corona-Jahrestag schwere Vorwürfe gegen die Politik erhoben. „Zahlreiche wissenschaftliche Studien und Erfahrungsberichte zeigen schonungslos auf, dass politisches Handeln den Kindern und Jugendlichen Entwicklungsmöglichkeiten und damit Zukunft teilweise sicherlich unwiederbringlich genommen haben“, sagte Fischbach im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Insbesondere durch die wiederholten und langen Schließungen von Schulen und Kitas seien den Kindern „unbegründet Entwicklungsmöglichkeiten genommen“ worden, sagte Fischbach. Deutschland sehe heute „den selbst angerichteten Scherbenhaufen“, sagte der Pädiater. „Sozialverhaltensstörungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen, Adipositas und Bewegungsmangel, schulische Leistungsstörungen seien hier beispielhaft genannt.“
Fischbach äußerte sich zum 4. Jahrestag des ersten deutschen Corona-Falls am 27. Januar. Der 65-Jährige war bis Ende 2023 Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
Die angerichteten Schäden könnten durch „eher halbherzig finanzierte Korrekturmaßnahmen“ des Staates nicht behoben werden, sagte Fischbach, zumal Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wie beispielsweise den Niederlanden „nur sehr geringe finanzielle Anstrengungen“ unternehme.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe – wie die meisten Politiker – „nur auf handverlesene Experten aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaften Virologie, Epidemiologie und Mobilitätsforschung gehört, die wie der Minister selbst gerne durch die Talkshows tingelten“, sagte Fischbach weiter. Kinder- und Jugendärzte, Kinder- und Jugendpsychiater und -psychologen, Pädagogen oder Sozialwissenschaftler habe man „in diesen elitären Kreisen“ vergeblich gesucht, kritischere Wissenschaftler seien „abgemeiert“ und zumeist nicht gehört worden.
Die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx räumte Fehler im Umgang mit Jugendlichen während der Pandemie ein. „Wir bedauern es sehr, dass wir die junge Generation zu wenig in den Blick genommen haben“, sagte Buyx der „NOZ“. Sie sei zwar damals in Talkshows gewesen und habe unterstrichen: ‚Wir müssen an die Kinder und Jugendlichen denken! Die sitzen noch hinter der Glasscheibe und die anderen feiern schon wieder.‘ „Aber wir haben es versäumt, eine schriftliche Stellungnahme dazu zu machen und eine konkrete Empfehlung zu formulieren. Das bedauern wir zutiefst. Das hätten wir machen sollen“, sagte Buyx der „NOZ“.
Der Ethikrat habe zwar einige hundert Schüler eingeladen und sich ihre Pandemie-Erfahrungen erklären lassen und daraufhin eine Empfehlung zur psychischen Gesundheit veröffentlicht, so Buyx weiter. „Aber das war zu spät.“
Foto (c) BVKJ