51 Prozent aller Deutschen mit Migrationshintergrund bereiten die Pläne von radikalen Rechten zu massenhaften Abschiebungen große oder sehr große Angst. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag des ARD-Magazins „Panorama“ ergeben. Im vergangenen November wurde bei einem Treffen in Potsdam auch über die Ausweisung von „nicht-assimilierten“ deutschen Staatsbürgern diskutiert. Das Recherchenetzwerk „Correctiv“ hatte über die Zusammenkunft von Rechtsextremisten berichtet, unter ihnen AfD-Politiker und Mitglieder der WerteUnion.
2022 lebten 23,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 28,7 Prozent. Fast genau die Hälfte hat die deutsche Staatsangehörigkeit, rund zwölf Millionen Menschen. Ein Großteil davon ist bereits in Deutschland geboren.
Die in Potsdam diskutierten „Massenabschiebungspläne“ machen selbst Deutschen ohne Migrationshintergrund Angst. In der repräsentativen infratest dimap-Umfrage im Auftrag von „Panorama“ sagten auch 48 Prozent der Befragten ohne ausländische Wurzeln, dass ihnen die Pläne große oder sehr große Angst bereiten. Im Osten ist die Angst etwas größer (49 Prozent groß oder sehr groß) als im Westen (42 Prozent). In den Altersgruppen gibt es keine signifikanten Unterschiede, nur bei den 35- bis 49-Jährigen ist die Angst mit 41 Prozent etwas geringer. Die Angst ist bei den Anhängern der Grünen und der SPD mit 69 bzw. 61 Prozent besonders ausgeprägt. Von den AfD-Anhängern haben nur acht Prozent Angst, 76 Prozent hingegen antworteten, ihre Angst sei weniger groß oder nicht vorhanden.
Die deutsche Staatsangehörigkeit ist im Grundgesetz besonders geschützt. So heißt es im Artikel 16: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Dies gelte im Kern auch für Menschen mit einer doppelten Staatsangehörigkeit, betont der Verfassungsrechtler Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltsvereins, im Interview mit „Panorama“. Das Grundgesetz ermögliche bei Doppelstaatlern nur wenige Ausnahmen für den Entzug der Staatsangehörigkeit, beispielsweise wenn es zu Terror-Handlungen im Ausland kommt. Selbst wenn man der Liste eine weitere Ausnahme hinzufügen würde, „darf sie auf keinen Fall, so wie es bei diesem Potsdamer Treffen diskutiert wurde, an die Hautfarbe geknüpft werden. Sie darf auch nicht an die Herkunft geknüpft werden, sie darf auch nicht an eine wie auch immer zu definierende Assimilation geknüpft werden“, erläutert Karpenstein. „Die Pläne sind ganz klar verfassungswidrig. Da müsste man sich über das Grundgesetz und auch internationale Menschenrechtskonventionen hinwegsetzen.“ Das setze einen Staatsstreich voraus.
Die AfD hat sich von der Zusammenkunft in Potsdam distanziert und von einem privaten Treffen gesprochen. Ihr Konzept der sogenannten „Remigration“ umfasse alle Maßnahmen und Anreize zu einer rechtsstaatlichen und gesetzeskonformen Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer in ihre Heimat, erklärte die Partei jüngst in einem Positionspapier: „Verfassungswidrige Forderungen wie (…) die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund stoßen auf unsere entschiedene Ablehnung.“
Noch am Vormittag des 10. Januar 2024, kurz nachdem die Inhalte des Treffens in Potsdam durch „Correctiv“ öffentlich geworden waren, las sich das in einem Posting im Sozialen Netzwerk „X“ (vormals Twitter) noch etwas anders: Da forderte die AfD, die Hürden zum Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft zu senken und erklärte, dass man nicht nur Ausländer konsequent abschieben, „sondern auch Kriminellen, Gefährdern, Terroristen und Vergewaltigern den Pass entziehen“ wolle. „Der Automatismus, Straftäter deshalb nicht abzuschieben, weil sie eben auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist aufzuheben“, wird die AfD-Bundessprecherin Alice Weidel zitiert.
Nach geltender Rechtslage sind solche Abschiebungen nicht möglich. Verfassungsrechtler wie Ulrich Karpenstein halten auch eine entsprechende Gesetzesänderung vor dem Hintergrund von Artikel 16 Grundgesetz für verfassungswidrig.
Im Interview mit „Panorama“ erklärte der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer dazu: „Wir stehen als Alternative für Deutschland ganz klar zum Grundgesetz, was nicht heißt, dass wir nicht auch Gesetze verschärfen, da, wo es erforderlich ist, wenn wir in Regierungsverantwortung sind.“ Diese Verschärfung werde durch den Souverän beschlossen, im Deutschen Bundestag: „Da wird man verhandeln müssen, was für uns erträglich ist und was eben nicht mehr. Und an welcher Stelle man die Hürden senkt, um die Rücknahme von Einbürgerungen zu ermöglichen.“
Das Umfrageinstitut infratest dimap befragte im Auftrag von „Panorama“ vom 29. bis 31. Januar insgesamt 1303 zufällig ausgesuchte, wahlberechtigte Personen ab 18 Jahren in Deutschland. Die Fehlertoleranz beträgt zwischen 2 Prozentpunkten (bei 10 Prozent Anteilswert) und 3 Prozentpunkten (bei 50 Prozent Anteilswert).
„Panorama“ berichtet über das Thema am Donnerstag, 8. Februar, um 21.45 Uhr im Ersten.