Nach der Ankündigung des Sozialministeriums, den Landesrahmenvertrag zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) einseitig zu kündigen, herrscht großer Unmut bei der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt e.V.
Magdeburg, 25. März 2024 – Das Sozialministerium des Landes Sachsen-Anhalt hat kurzfristig und überraschend bekannt gegeben, dass der im August 2019 unterschriebene Landesrahmenvertrag zur Regelung von Leistungen der Eingliederungshilfe zum 31. Dezember 2024 schriftlich gekündigt wird. Diese Kündigung erfolgt einseitig. Der Vertrag regelt die Leistungen und deren Vergütung, die von gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen und anderen Hilfeeinrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen erbracht werden. Mit diesen sozialen Dienstleistungen werden gesetzliche Ansprüche erfüllt.
Dazu Antje Ludwig (Foto), Vorstandsvorsitzende der LIGA der Wohlfahrtsverbände:
„Diese Vertragskündigung stellt die verbrieften Ziele der Landesregierung für bessere Chancen und mehr Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen infrage. Sie ist auch deshalb unverständlich, weil zuletzt zwischen den beteiligten Akteuren eine gute Gesprächsebene in den Verhandlungsgremien gefunden wurde.“
Diese Kündigung hätte weitreichende Auswirkungen auf die Stärkung der Selbstbestimmung und Teilhabe der Menschen mit Beeinträchtigungen.
So erwarten die LIGA-Verbände große Verwerfungen bei den Hilfeleistungen in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe, da nunmehr offen bleibt, in welchem Rahmen sie ab dem 01.01.2025 ihre Arbeit erbringen müssten. Die Nachteile für die direkt Betroffenen, deren Angehörige und Betreuungspersonen sind kaum abzusehen. Betroffen sind u.a. integrative Kindertageseinrichtungen, ambulante Unterstützungsleistungen und Wohnangebote.
Welche Angebote werden zukünftig bereitgestellt? Welche Leistungen können und sollen überhaupt angeboten werden? Wie ist diese Entscheidung mit dem gesetzlich verankerten Ziel der besseren Teilhabe vereinbar?
„Es geht hier nicht nur um die Kündigung eines Vertrages, an dem mehr als sechs Jahre intensiv gearbeitet wurde. Es geht hier um ein staatliches und gemeinschaftliches Versprechen, das die Inklusion und die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen als Menschenrecht beschreibt.“, so Ludwig abschließend.
Geschlossen fordert der Vorstand der LIGA die Landesregierung auf, die Kündigung zurückzunehmen und sich zeitnah an den Verhandlungstisch zu begeben und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes auf Landesebene im Sinne der Menschen mit Beeinträchtigungen weiter voranzubringen.
Hintergrund
Während Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 ratifiziert hat, sind Jahre vergangen, bis es auf Bundesebene 2016 zu einer Einigung für ein Gesetz zur Stärkung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gekommen ist – das Bundesteilhabegesetz (BTHG).
Die Umsetzung dieses BTHG sollte wiederum in vier Reformstufen erfolgen, wobei die dritte Reformstufe mit der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe in das neunte Sozialgesetzbuch der wichtigste Schritt war. Alle Bundesländer standen mit diesen sozialgesetzlichen Änderungen vor großen Herausforderungen, einen neuen Landesrahmenvertrag zu verhandeln, der eine personenzentrierte Leistung in den Vordergrund rückt und das damalige Fürsorgesystem ablöst.
Das Land Sachsen-Anhalt hat es im August 2019 als eines der ersten Bundesländer geschafft, zusammen mit den Leistungserbringer-Verbänden einen gemeinsamen neuen Landesrahmenvertrag zu verhandeln, der den Menschen mit Beeinträchtigungen und dessen individuelle Bedürfnisse in den Vordergrund rückt und eine bedarfsgerechte Leistungserbringung ermöglichen soll. Allerdings sind bis zur tatsächlichen Umsetzung dieser neuen Regelungen noch weitere Hürden zu nehmen, die viel Zeit bedürfen, weshalb Menschen mit Beeinträchtigungen nach wie vor darauf warten, dass sie endlich eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erfahren.
Trotz aller Krisen war das Land Sachsen-Anhalt mit dem neuen Landesrahmenvertrag ein Vorreiter im Bundesvergleich und sollte diesen Anspruch nicht aufs Spiel setzen.
Foto: Antje Ludwig (c) LIGA der Wohlfahrtsverbände