Greenpeace: Anzahl der Ăltanker in der Ostsee deutlich gestiegen – Ăkosystem bedroht / AuswĂ€rtiges Amt: Weitere Schiffe sollen sanktioniert werden
Mainz. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fahren immer hĂ€ufiger alte und unterversicherte Rohöltanker durch die Ostsee. Das zeigt eine Datenauswertung der Umweltschutzorganisation Greenpeace, die dem ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ exklusiv vorliegt. Demnach ist die Zahl der Ăltanker, die durch die sogenannte Kadetrinne gefahren sind, im Vergleich zu 2021 um rund 70 Prozent auf fast 1.000 Schiffe gestiegen. Diese Seeroute verlĂ€uft nur wenige Kilometer vor der deutschen OstseekĂŒste und gilt wegen ihrer Enge und geringen Tiefe als gefĂ€hrlich. Eine Recherche von „Report Mainz“ zeigt zudem, dass ein Teil der Flotte gegen geltende EU-Sanktionen verstöĂt. Manche Schiffe, die mutmaĂlich russisches Rohöl geladen haben und von russischen OstseehĂ€fen aus gestartet sind, steuerten laut GPS-Daten direkt HĂ€fen in der EU an, um das Rohöl dort abzupumpen.
Russisches Ăl in der EU
Mehrfach konnte „Report Mainz“ dokumentieren, dass Tanker mit russischem Ăl seit einigen Wochen direkt HĂ€fen in der EU ansteuern. Dies verstöĂt gegen geltende EU-Sanktionen. Seit MĂ€rz 2023 sind russische Rohöltransporte per Schiff in die EU verboten. An den Transporten beteiligt waren vor allem Schiffe von griechischen Reedereien, deren Schiffe zum Teil der sogenannten russischen „Schattenflotte“ zugerechnet werden. Dabei handelt es sich um Tankschiffe, die im Verdacht stehen, Russland bei der Umgehung von Sanktionen zu helfen. Die Reporter konnten anhand von Satelliten-Daten etwa 15 Tanker seit Juli 2024 beobachten, die von den russischen Ostsee-HĂ€fen in Primorsk, Ust Luga sowie dem Ălhafen Novorossyisk im Schwarzen Meer direkt europĂ€ische HĂ€fen ansteuerten. Anhand des Tiefgangs der Schiffe zeigte sich, dass die Schiffe in den russischen ĂlhĂ€fen vollgepumpt und schwer beladen ablegten. Nach der Ankunft in den ZielhĂ€fen verringerte sich der Tiefgang der Tanker um mehrere Meter. Ein Beleg dafĂŒr, dass die Schiffe ganz oder teilweise leergepumpt wurden. Die rund 250 Meter langen Tanker können jeweils mehr als 150 Millionen Liter Rohöl transportieren.
Verdacht auf SanktionsverstöĂe
Angesteuert wurden nach Recherchen von „Report Mainz“ vor allem italienische HĂ€fen wie Triest oder Augusta, vereinzelt aber auch HĂ€fen in Kroatien, Frankreich oder Spanien. Zu möglichen SanktionsverstöĂen der beobachteten Reedereien bzw. Tankschiffe wollte sich die EU-Kommission gegenĂŒber „Report Mainz“ nicht Ă€uĂern, die Ăberwachung der EU-Sanktionen sei Aufgabe der MitgliedslĂ€nder. Die zustĂ€ndige italienische Zollbehörde lieĂ mehrere Anfragen des ARD-Politikmagazins zu den Schiffsbeobachtungen unbeantwortet. Die griechische Reederei TMS Tankers Ltd., die mit ihren Schiffen bei mehreren Transporten von russischem Rohöl beteiligt war, lieĂ ebenfalls eine Anfrage zu möglichen SanktionsverstöĂen unbeantwortet. Die Reederei war in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Transporten von russischem Ăl kritisiert worden, u. a. von ukrainischen Sanktionsexperten.
Gefahr von ĂlunfĂ€llen in der Ostsee steigt
Laut Greenpeace passierten im vergangenen Jahr fast 1.000 Ăltanker die Ostsee, so viele wie noch nie. FĂŒr ihre Auswertung hat die Umweltschutzorganisation eigenen Angaben zufolge Daten der britischen Lloyd’s List Intelligence genutzt. Das Unternehmen gilt als Spezialist fĂŒr die Ăberwachung und Analyse des internationalen Schiffsverkehrs. In den ersten sieben Monaten 2024 wurden laut den Daten 539 Tankschiffe gegenĂŒber 290 im selben Zeitraum 2021 erfasst. Die aktuelle Daten-Analyse zeigt zudem, dass dort immer mehr alte Schiffe unterwegs sind. „Im Schnitt sind die Tanker fast 17 Jahre alt“, so die Daten-Experten von Greenpeace. „Zudem ist die Zahl der Tanker deutlich gestiegen, die nicht gegen Ăl-UnfĂ€lle versichert sind. Im vergangenen Jahr hatten etwa zwei Drittel aller Schiffe keine sogenannte „P&I-Versicherung“ gegen Havarien“. Bei einer P&I-Versicherung handelt es sich um eine Transportversicherung in der Schifffahrt, die unter anderem FolgeschĂ€den und EntschĂ€digungsansprĂŒche abdeckt.
Der grĂŒne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Tobias Goldschmidt, sieht diese Entwicklung mit Sorge. Im Interview mit „Report Mainz“ berichtet er, dass man zu diesem Thema im stĂ€ndigen Austausch mit den anderen Ostsee-Anrainer-Staaten sei. „Eventuelle UnfĂ€lle wĂŒrden das Ăkosystem Ostsee sehr stark treffen. […] Das heiĂt, ĂlunfĂ€lle hĂ€tten sehr, sehr gravierende Auswirkungen. Und es macht mir natĂŒrlich auch als Energieminister Sorge, denn wir haben ja ein Ălembargo gegen Russland, das einen aggressiven Angriffskrieg in der Ukraine fĂŒhrt.“ Er könne als Landesminister nicht viel mehr tun, als das Land auf etwaige Ăl-UnfĂ€lle gut vorzubereiten und fĂŒr einen bestmöglichen Havarie-Schutz zu sorgen.
Die EU-Staaten hatten Ende Juni in ihrem 14. Sanktionspaket gegen Russland erstmalig Sanktionen gegen einzelne Ăltanker beschlossen. Auf Anfrage von „Report Mainz“ heiĂt es aus dem AuswĂ€rtigen Amt, dass in Zukunft weitere Schiffe auf die Sanktionsliste gesetzt werden sollen. Dazu befinde man sich derzeit in enger Abstimmung mit den G7- und den EU-Partnern. Das Ministerium verfĂŒge ĂŒber Erkenntnisse zu möglichen VerstöĂen gegen Importrestriktionen bezĂŒglich russischen Rohöls bzw. Rohölprodukte.
Text/Foto: SWR am 24. September 2024