Die Straße, die nach Kurachowe führt, ist von ausgebrannten zivilen Fahrzeugen gesäumt. Artem Schtschus, der Polizeichef der ukrainischen Stadt an der östlichen Kriegsfront, nennt sie «Straße des Todes», wegen der anhaltenden russischen Drohnenangriffe, bei denen fünf Zivilisten ums Leben kamen – beim Versuch, die Stadt zu verlassen. Aber viele andere sind geblieben, schätzungsweise 700 bis 1000 Einwohner, obwohl Kurachowe inzwischen an drei Seiten von russischen Soldaten umzingelt ist. Die Invasoren sind nur drei Kilometer vom verwüsteten Stadtzentrum entfernt.
Wie viele Ukrainer es genau sind, die trotz der bedrohlichen Lage weiter ausharren, zumeist in Kellern von Mietwohnungshäusern, ohne fließendes Wasser, Heizung oder Strom, lässt sich nicht sagen. Seit Oktober sind keine freiwilligen humanitären Helfer mehr in die Stadt gekommen. Unter ständigem Beschuss von Artillerie, Mehrfachraketenwerfern, Flächenbomben und Drohnen, ist Kurachowe das «neue Bachmut» geworden – das heißt, was sich hier abspielt, erinnert an das Schicksal jener Stadt in Donezk, die von August 2022 bis Mai 2023 Schauplatz schwerster Kämpfe war und größtenteils zerstört wurde.
So hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Freitag die Situation in Kurachowe sowie im nahe gelegenen Pokrowsk als «am schwierigsten» bezeichnet. Sie sind Schlüsselstädte beim Versuch der russischen Invasoren, weiter westwärts vorzustoßen, um die gesamte Region Donbass unter ihre Kontrolle zu bringen.
Das Krankenhaus in Kurachowe, das Postamt, das Flüchtlings- und das Kulturzentrum, Schulen, Kindergärten, die Kläranlage – sie alle sind zerstört. Rauch steigt aus den Trümmern zerbombter Apartmentgebäude auf. Artilleristen der 33. Brigade sagen, dass sie pro Tag etwa 50 Granaten an der Kurachowe-Front abfeuern, ein Zeichen dafür, wie stark sie in Bedrängnis gekommen sind, wie verzweifelt sie versuchen, die russischen Kräfte daran zu hindern, die Stadt komplett einzuschließen.
Höhere städtische Beamte und örtliche Angehörige der Territorialverteidigungs-Kräfte sind geblieben. So auch Vertreter der Polizei mit Schtschus an der Spitze. Er hat wenig Hoffnung, dass die Stadt noch gehalten werden kann, wenn sie völlig umzingelt wird. «Ich glaube nicht, dass es möglich ist, wenn man die Realitäten des modernen Krieges und moderner Technologien in Betracht zieht», sagt er. «In einem solchen Fall könnte die Logistik nur von Drohnen ausgeführt werden.»
Schon jetzt kämen keine Versorgungsgüter in die Stadt, gäbe es nicht die Evakuierungsgruppe «Weiße Engel», die aus Polizeibeamten und Freiwilligen besteht. Sie leisten Verletzten Erste Hilfe, entfernen die Leichen getöteter Einwohner, während sie zugleich den einzigen noch funktionsfähigen Lebensmittelladen in Kurachowe betreiben. Die Gruppe bringt lebenswichtige Güter in einem gepanzerten Fahrzeug in die Stadt, ausgerüstet mit Technologien der elektronischen Kriegsführung, der einzige Weg, ihr Ziel zu erreichen – und dennoch eine Reise voller Risiken. «Ohne REB (bestimmte Störsender) ist es schlicht eine Lotterie», sagt Schtschus.
Die einzige Möglichkeit, aus der Stadt zu flüchten, ist es, mit den «Weißen Engeln» zu reisen. Jeden Tag setzten diese Helfer ihr Leben aufs Spiel, indem sie jeweils sechs bis 12 Leute aus verschiedenen Teilen der Stadt und umliegenden Dörfern in Sicherheit bringen. Alle Kinder sollten mittlerweile aus der Stadt gebracht worden sein, aber Eltern verstecken ihre Sprösslinge oft, sowohl vor den Bomben als auch den Beamten, die das Einhalten von Evakuierungsanordnungen überwachen. Es ist eine der Schlüsselaufgaben der «Weißen Engel», Kinder aufzuspüren und deren Eltern zu überreden, ihre Sprösslinge in Sicherheit bringen zu lassen.
Wenn es gelingt und Kinder aus den Kellern geholt werden, sind viele von diesen geschockt vom Ausmaß der Zerstörung ihrer Heimatstadt, was nahelegt, dass sie schon seit Längerem im Kellergeschoss verborgen waren.
Text/Foto: Welt Nachrichtensender am 14. November 2024