BUSCHMANN-Interview: Deutschland steckt im Bürokratie-Burnout

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Der designierte FDP-Generalsekretär Dr. Marco Buschmann MdB gab „t-online.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Florian Schmidt:

Frage: Herr Buschmann, die FDP steht in der Beliebtheit da, wo sie Christian Lindner als Parteichef 2013 übernommen hat. In zwölf Jahren ist es Ihrer Partei also nicht gelungen, eine stabile Stammwählerschaft jenseits von fünf Prozent aufzubauen. Wo haben Sie Fehler gemacht?

Buschmann: Die neuesten Umfragen sind besser als damals. Klar ist aber auch, dass wir uns mit Umfragewerten von 5 Prozent noch nicht zufriedengeben können. Gewissermaßen lastet die Ampel noch immer auf uns. Denn das Regierungsbündnis war bei unseren Anhängern sehr unbeliebt und hatte als Gesamtaufstellung nicht die Kraft, die Reformen bei Wirtschaft, Modernisierung des Staates und Migration in dem Umfang durchzuführen, wie wir sie uns gewünscht hätten. Jetzt zählt aber der Blick nach vorne. Das Dreikönigstreffen in dieser Woche hat gezeigt: Die Motivation ist hoch, es gibt eine große Bereitschaft, die FDP zu unterstützen. Die Spendeneingänge sind phänomenal. Das sind gute Voraussetzungen, um am Wahltag erfolgreich zu sein.

Frage: Bei der letzten Bundestagswahl haben Sie große neue Wählerschichten erschlossen, etwa unter den Erstwählern. Noch einmal: Wieso ist es Ihnen nicht gelungen, diese Menschen an die FDP zu binden?

Buschmann: Ich bin guter Dinge, dass uns das wieder gelingen wird. Die Stimmungslage in Deutschland ist derzeit noch eingefroren.

Frage: Was meinen Sie damit?

Buschmann: Seit dem Ende der Koalition Anfang November tut sich in den Umfragen wenig. Mal geht es für die eine Partei einen halben Prozentpunkt rauf, mal für eine andere einen Punkt runter. Das sind alles Bewegungen innerhalb der statistischen Fehlertoleranz. Meine Analyse ist: Viele Menschen haben erst mal Abstand von der Politik gesucht. Daher zeigen viele Befragungen auch, dass fast die Hälfte der Menschen noch unentschlossen ist. Erst wenn die Plakate im Straßenbild zu sehen sein werden, werden sich auch viele dieser Menschen wieder der Frage zuwenden, wen sie eigentlich wählen werden. Und traditionell ist es so, dass wir als Freie Demokraten in dieser Phase mit unseren Argumenten punkten können.

Frage: Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass das liberale Lebensgefühl abhandengekommen ist.

Buschmann: Da will ich widersprechen: Es gibt bei sehr vielen Menschen ein liberales Lebensgefühl. Vielleicht müssen wir manch einen nur daran erinnern, was das ist.

Frage: Was ist das denn für Sie?

Buschmann: In zwei Sätzen: Ich bin selbst für mein Leben verantwortlich. Und weil ich für mein Leben verantwortlich bin, möchte ich auch die Freiheit haben, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen. Das kann wirtschaftliche Fragen wie meinen Beruf betreffen, aber auch die Frage, wie ich lebe. Dann sprechen wir von gesellschaftlicher Freiheit, die mir erlaubt zu sagen, was ich will, oder zu glauben, was ich will. Das Prinzip lautet: Ich habe die Verantwortung für mein Leben, also möchte ich auch die Freiheit für eigene Entscheidungen, um diese Verantwortung auch ausüben zu können.

Frage: Klingt schön. Im beginnenden Wahlkampf verbinden viele mit der FDP aber eher anderes: Schuldenbremse einhalten, weniger Steuern und Abgaben für die Wirtschaft, Bürokratieabbau und Bürgergeldreform.

Buschmann: Das ist kein Widerspruch. Im Gegenteil: Diese Themen sind Ausdruck eines liberalen Lebensgefühls. Im Wahlkampf kommt es jetzt darauf an, dass wir diese Schlagworte nahbar machen und die Bedeutung im Alltag aufzeigen. Beispiel: Ein höherer Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer sorgt bei Dir und Deiner Familie für mehr Netto vom Brutto. Du kannst also über mehr von Deinem verdienten Geld selbst entscheiden. Oder indem wir erklären: Wenn die Wirtschaft wieder wächst, dann bedeutet das für jeden Einzelnen mehr Wohlstand und vor allem eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, mit Fleiß, Talent und harter Arbeit sozial aufsteigen zu können.

Frage: Und gelingt Ihnen das schon gut genug?

Buschmann: Mehr geht immer.

Frage: Ihr Parteichef sagte unlängst, auf Elon Musk, der offen Stimmung für die AfD macht, dürfe man als Patriot nicht hereinfallen. Zuvor jedoch warb er selbst dafür, Deutschland müsse „mehr Musk und Milei“ wagen. Ist Herr Lindner in dieser Logik also selbst kein Patriot?

Buschmann: Nein. Es ging doch um etwas ganz anderes: Noch nie hatte der Staat so viel Geld, Personal und Befugnisse wie heute. Trotzdem arbeitet er nicht besser. Er verzettelt sich und als Gesellschaft verwalten wir uns zu Tode. Um auf den Veränderungsbedarf, der hier nötig ist, hinzuweisen, hat Christian Lindner eine kleine Provokation gewagt. Das muss in der Demokratie erlaubt sein. Man könnte genauso mit Ralf Dahrendorf fragen, was wir machen, wenn immer mehr Menschen denken, ihr Staat sei ein „teurer Versager“. Weil immer mehr Menschen so denken, müssen wir etwas verändern. Darum geht es.

Frage: Aber Milei steht auch für eine sehr radikale Politik, die viele Menschen in Argentinien zunächst ärmer gemacht hat, etwa weil die Mieten stark gestiegen sind.

Buschmann: Niemand – auch wir Liberale nicht – will, dass Deutschland eins zu eins den Kurs von Argentinien einschlägt. Die Ausgangslage ist dort ja auch eine andere, nach Jahrzehnten der Misswirtschaft. Fakt ist zugleich, dass dort in kurzer Zeit das Staatsdefizit beseitigt, die Inflation gesenkt und das Wirtschaftswachstum angekurbelt worden ist. Auch die Armutsquote sank zuletzt. Wenn auf der Welt Konzepte funktionieren, sollten wir nicht so arrogant sein, uns damit nur deshalb nicht näher zu beschäftigen, weil sie nicht von uns kommen. Man braucht einen offenen Geist, um zu lernen und besser zu werden.

Frage: Die Idee, die dahintersteht, lautet in einem Wort: Disruption. Wen soll das ansprechen in einem Land, in dem die allermeisten Menschen Angst haben vor zu großen Veränderungen?

Buschmann: Auch ich höre immer wieder, dass viele Menschen im Grunde wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich teile diese Lesart nicht. Mein Eindruck ist eher, dass die allermeisten Menschen aktuell sagen: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Sie wollen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, die Migration geordnet wird und der Staat effektiver funktioniert. Dahingehend ist ein deutlich höheres Tempo an Veränderungen nötig und auch gewünscht.

Frage: Braucht auch der Liberalismus Disruption? Das, was Sie im Angebot haben, ist ja in großen Teilen noch dasselbe wie in den 80ern und 90ern.

Buschmann: Das sehe ich etwas anders. Natürlich bleiben wir als Freie Demokraten unserem Leitprinzip treu: mehr Freiheit für mehr Menschen. Dieses Prinzip ist gleichwohl hochmodern. Heute gibt es oft nur andere Begriffe dafür. Nur ein paar Beispiele: In vielen Organisationen wird über „Empowerment“ gesprochen – also darüber, dem einzelnen Menschen mehr zu vertrauen und ihm mehr Entscheidungsfreiheit zu übertragen. Dahinter steckt liberales Denken. Freiheit führt auch zu Technologiebegeisterung. Daher setzt die FDP stärker auf Digitalisierung und daher befassen wir uns stärker mit Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz oder Kryptowährungen als alle anderen Parteien. Deshalb glaube ich, dass der Liberalismus keine Disruption braucht. Er ist hochmodern und hat frische Ideen. Vielleicht müssen wir nur manchmal unsere Sprache verändern und so den Menschen vor Augen führen, dass sie in Wahrheit schon liberal leben.

Frage: Lassen Sie uns über ein paar Punkte aus dem Wahlprogramm sprechen, zunächst über die Idee eines „bürokratiefreien Jahres“ für Betriebe. Wie genau soll das funktionieren?

Buschmann: Diese Idee zielt vor allem auf junge Unternehmen ab, auf Start-ups. Denen wollen wir sagen: Passt auf, im ersten Jahr könnt Ihr Euch voll und ganz auf euer Geschäft konzentrieren. Den Berichts- und Dokumentationskram ersparen wir Euch, indem wir es zum Beispiel nicht sanktionieren, wenn europarechtliche Berichtspflichten nicht eingehalten werden, und von deutschen Berichtspflichten stellen wir Euch frei.

Frage: Das heißt, für größere Unternehmen ist das nichts?

Buschmann: Alle Unternehmen müssen von Bürokratie entlastet werden. Denn Deutschland steckt im Bürokratie-Burn-out. Daher brauchen wir ein jährliches Bürokratieentlastungsgesetz, das regelmäßig unnötige Vorschriften abschafft. Zugleich brauchen wir eine Entbürokratisierungsoffensive in der Europäischen Union. Denn dort kommt mittlerweile der größte Teil der Belastungen her. Nachhaltigkeitsberichterstattung, Lieferkettenregulierung oder Entwaldungsverordnung – all diese bürokratischen Monstren stammen aus dem Verantwortungsbereich von Ursula von der Leyen.

Frage: FDP-Chef Christian Lindner hat unlängst vorgeschlagen, nicht nur das Entwicklungshilfeministerium mit dem Auswärtigen Amt zu fusionieren, sondern auch ein neues Superministerium für Soziales, Gesundheit und Familie zu gründen. Was soll das bringen?

Buschmann: Die Idee ist: Mehr Synergien nutzen, sich weniger verzetteln. Derzeit ist es so, dass sowohl das Ministerium für Arbeit und Soziales als auch das Familien- und das Gesundheitsministerium eine ganze Reihe verschiedener staatlicher Leistungen verantworten und ausschütten. Das wollen wir bündeln. Idealerweise gibt es dann ein einziges Ministerium, das zuständig ist für sämtliche staatliche Leistungen der sozialen Sicherung.

Frage: Also eine Art zentrales Geld-Ausschütt-Ministerium.

Buschmann: Das klingt jetzt sehr zugespitzt. Aber ja: Unsere Vision ist es, soziale Leistungen zusammenzufassen und zu pauschalieren. Aktuell wird der Findige belohnt, der sich im Dschungel staatlicher Leistungen gut auskennt. Die wirklich Bedürftigen bleiben oft auf der Strecke. Ein System sozialer Sicherung aus einem Guss mit klarer Anreizwirkung für Arbeit für alle, die arbeiten können, ist das Ziel. Das ginge aus einer Hand sicher leichter.

Frage: Ein weiterer Punkt im Wahlprogramm ist der Plan für ein flexibles Renteneintrittsalter, das zu längeren Arbeitszeiten im Alter führen soll. Was macht Sie zuversichtlich, dass das funktioniert, wo doch der Trend zur Frührente geht?

Buschmann: Unser Vorschlag orientiert sich am schwedischen Modell. Dort funktioniert er sehr gut. Es geht nicht darum, dass jeder am Ende des Arbeitslebens noch ein, zwei Jahre dranhängen muss. Das Modell basiert auf Freiwilligkeit. Es gibt schon heute viele Menschen, die liebend gern noch etwas länger arbeiten wollen, aber wegen hoher bürokratischer Hürden davon absehen. An diese Menschen richtet sich unsere Idee. Es geht aber auch noch um etwas anderes.

Frage: Nämlich?

Buschmann: Um eine Frage der Mentalität. Wir wollen Anreize setzen, die zeigen: Arbeit lohnt sich. Arbeit kann Spaß machen. Und Arbeit ist vielleicht gerade im Alter etwas Schönes, weil sie geistig fit hält. Es ergeben sich ja auch finanzielle Vorteile: Wer freiwillig länger arbeitet, hat nach unseren Vorstellungen mehr Netto vom Brutto, weil er sich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung spart. Und er bekommt später eine höhere Rente. So kann man sich vielleicht die langersehnte Reise leisten, den Kindern bei der Finanzierung des Eigenheims helfen oder den Enkeln ein Auslandssemester ermöglichen.

Frage: Die FDP schielt den schlechten Umfragen zum Trotz auf eine neuerliche Regierungsbeteiligung, am liebsten mit der Union. Umgekehrt gefragt: Mit wem ist Ihrer Ansicht nach ein alternatives Bündnis unwahrscheinlicher – SPD oder Grüne?

Buschmann: Ich würde das nicht voneinander differenzieren. SPD und Grüne stehen gleichermaßen auf der Bremse, wenn es um die Reform der sozialen Sicherungssysteme, die Entlastung der Menschen oder den Abbau von Bürokratie geht. Mit beiden Parteien würde es schwierig, hier für einen Richtungswechsel zu sorgen.

Frage: Damit es mit dem Regieren klappt, müssten Sie am 23. Februar erst einmal den Einzug in den Bundestag schaffen. Was passiert am 24. Februar, wenn das nicht klappt?

Buschmann: Es gibt eine alte Weisheit, an die auch ich mich halte: Auf hypothetische Fragen gebe ich keine hypothetischen Antworten.

Frage: Ist Ihr Parteichef Christian Lindner dann Geschichte?

Buschmann: Diese Frage wird sich nicht stellen. Wir kämpfen für den Erfolg. Und wir sind fest davon überzeugt, dass wir mit einem starken Ergebnis in den Bundestag einziehen werden.

Quelle: Freie Demokratische Partei am 12. Januar 2025

Foto: Marco Buschmann © Laurence Chaperon