ifo Standpunkt: Wirtschaftliche Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine

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Der Ukraine-Krieg ist nicht nur eine militĂ€rische und geopolitische ZĂ€sur. Er verĂ€ndert auch die wirtschaftliche Lage. Das betrifft sowohl die kurzfristige Konjunkturentwicklung als auch die mittelfristigen Aussichten fĂŒr Wachstum und Wohlstand. Die bislang erwartete konjunkturelle Erholung wird geschwĂ€cht. Es droht Stagflation, also eine Kombination aus schwachem Wachstum und hoher Inflation. Die Geldpolitik steht vor einem Dilemma: Zinserhöhungen können die Inflation zwar eindĂ€mmen, wĂŒrden das Wachstum aber weiter dĂ€mpfen.

Die Finanzpolitik bewirkt ebenfalls wenig: sie kann die Lasten steigender Preise umverteilen, aber nicht aus der Welt schaffen. Mittelfristig fĂŒhrt die Diversifizierung der Energieversorgung zu mehr Versorgungssicherheit, aber auch höheren Energiekosten. Deutschland als Standort fĂŒr energieintensive Industrien droht an Boden zu verlieren. Steigende MilitĂ€rausgaben sind notwendig, erfordern aber langfristig Steuererhöhungen und KĂŒrzungen öffentlicher Ausgaben in anderen Bereichen. Die Weltwirtschaft zerfĂ€llt in einen amerikanisch und einen chinesisch dominierten Block, mit Russland und den EU-LĂ€ndern als Juniorpartnern. GrĂ¶ĂŸter Verlierer ist Russland, aber auch in Deutschland wird der Wohlstand sinken.

Krieg in der Ukraine belastet Konjunktur

Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine sagten alle Prognosen, dass die deutsche Wirtschaft nach einem schwierigen Winter einen Konjunkturaufschwung erleben wird. Hohe Corona-Infektionszahlen und LieferengpĂ€sse belasten zwar derzeit, aber es wird erwartet, dass die Omikron-Welle bis zum FrĂŒhling ĂŒberwunden ist. Viele private Haushalte haben in der Zeit der Pandemie erhebliche Ersparnisse gebildet, weil Urlaubsreisen und anderer sozialer Konsum wegfielen. Dieses Geld dĂŒrfte im Sommer zu einem Konsumboom fĂŒhren, wĂ€hrend Vorprodukte und Energie noch immer knapp sind. Das Resultat könnte ein neuer Inflationsschub sein.

Bislang sprach alles dafĂŒr, dass die AngebotsengpĂ€sse den Aufschwung zwar bremsen, aber nicht verhindern. Der Krieg in der Ukraine hat diese Aussicht verdĂŒstert. Die Energiepreise steigen nun weiter. Das belastet die Konjunktur auf mehrfache Weise. Verbraucher mĂŒssen mehr Geld fĂŒrs Heizen und an der ZapfsĂ€ule ausgeben. Auch andere GĂŒter werden knapper und teurer, weil Unternehmen höhere Produktions- und Transportkosten haben und deshalb weniger herstellen und ihre Preise erhöhen. Wenn die Sanktionen zu einem drastischen RĂŒckgang der Importe von Gas, Öl und Kohle aus Russland fĂŒhren, drohen ProduktionsausfĂ€lle in energieintensiven Industrien.

Steigende Unsicherheit ĂŒber die weitere Entwicklung hat zur Folge, dass Investitionen verschoben werden. Es ist darĂŒber hinaus damit zu rechnen, dass es an den FinanzmĂ€rkten zu EngpĂ€ssen und Funktionsstörungen kommt, weil sich Investoren in großer Zahl aus riskanten Aktiva zurĂŒckziehen. Das dĂ€mpft die Konjunktur zusĂ€tzlich.

Kurzfristig Energieversorgung sichern

Sollte die Politik darauf reagieren? Herkömmliche Konjunkturpolitik in Form höherer öffentlicher Ausgaben oder steuerlicher Entlastungen hilft hier nicht. Es gibt keinen Mangel an Nachfrage, sondern eine Verknappung des GĂŒterangebots. Die Kosten steigender Preise kann die Politik nicht aus der Welt schaffen, man kann sie nur umverteilen. Ein Fehler wĂ€re es in dieser Lage, Benzin- oder Ölpreise durch eine Senkung der Mineralölsteuern zu entlasten. Das reißt Löcher in den Staatshaushalt. Die Mehrheit der Verbraucher kann die höheren Energiepreise durchaus zahlen, ohne in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Besser ist es, Haushalten mit niedrigen Einkommen, die dadurch ĂŒberlastet werden, gezielt zu helfen.

Viele werden jetzt von der EZB fordern, den Abbau der AnleihenkĂ€ufe weiter zu verschieben, aber auch das löst die Probleme nicht. Im Gegenteil. Da die US-Wirtschaft von der Krise weniger betroffen ist, wird die US-Notenbank ihre Geldpolitik weiter straffen. Wenn die EZB in die Gegenrichtung steuert, wird der Außenwert des Euro sinken. Die Folge wĂ€re eine importierte Inflation.

Die Politik in Europa sollte sich jetzt darauf konzentrieren, die Energieversorgung zu sichern, vor allem durch Gaslieferungen aus anderen Quellen einschließlich FlĂŒssiggas. Es wĂ€re außerdem zu prĂŒfen, ob der Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung in Deutschland hinausgeschoben und der Ausbau der erneuerbaren Energien kurzfristig beschleunigt werden kann.

Mittelfristig: UnabhÀngig von Russland werden

Das fĂŒhrt zu den mittelfristigen Folgen des Ukraine-Kriegs. Wenn man davon ausgeht, dass sich die russische Regierung im Amt hĂ€lt und grundlegende VerĂ€nderungen in Richtung Demokratie und Rechtstaatlichkeit ausbleiben, wird Deutschland nicht darum herumkommen, die rein wirtschaftlich sehr attraktive, sicherheitspolitisch aber riskante energiepolitische Zusammenarbeit mit Russland einzuschrĂ€nken und seine Gasversorgung dauerhaft zu diversifizieren. Das wird die Energieversorgung deutlich verteuern. Es entstehen auch Anreize, den Umstieg auf Wasserstoffwirtschaft und erneuerbare Energien zu beschleunigen. Schon der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle birgt hohe Risiken fĂŒr die deutsche Energieversorgung. Wenn Gas als Energiequelle ebenfalls eingeschrĂ€nkt wird, verschĂ€rft sich die Lage noch einmal. Damit wird Deutschland als Standort fĂŒr energieintensive Industrien unattraktiv. VorĂŒbergehend könnte der Staat mit Subventionen dagegenhalten, aber Standortnachteile dauerhaft mit ZuschĂŒssen auszugleichen, ist selbstschĂ€digend. Deutschland muss andere Wege suchen, seinen Wohlstand zu wahren.

Langfristig: Mögliche Gewinner und Verlierer der Krise

Die USA werden als Industriestandort mit billiger Energieversorgung und als FlĂŒssiggasproduzent zu den Gewinnern zĂ€hlen. Weniger Energieimporte aus Russland werden einhergehen mit fallenden deutschen GĂŒterexporten. Derzeit macht der Handel mit Russland nur 2% der Exporte aus, aber die Isolation Russlands wird die Wirtschaftsentwicklung in ganz Osteuropa beeintrĂ€chtigen. Hauptverlierer der Fragmentierung wird allerdings Russland selbst sein. Das Land wird versuchen, in China einen neuen Abnehmer fĂŒr seine Gasexporte zu finden, aber China wird Russland seine Marktmacht spĂŒren lassen; gleichzeitig steht China selbst vor großen Belastungen wie der Alterung seiner Bevölkerung, Überinvestitionen im Immobiliensektor und Konflikten mit den USA and anderen Staaten im pazifischen Raum.

Eine weitere Folge des Ukraine-Kriegs ist das Ende der Friedensdividende in Form fallender RĂŒstungsausgaben. Deutschland hat schon angekĂŒndigt, seinen Wehretat um mindestens 20 Mrd. Euro pro Jahr zu steigern. Das bedeutet KĂŒrzungen öffentlicher Leistungen in anderen Bereichen und höhere Steuern, also letztlich weniger Wohlstand.

All diese Überlegungen sind notwendigerweise spekulativ, weil ĂŒber den weiteren Verlauf der Krise und ihre Folgen erhebliche Unsicherheit besteht. Anders als hier angenommen könnte es sein, dass die russische Regierung ĂŒber den Ukraine-Krieg stĂŒrzt und Russland sich grundlegend in Richtung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen reformiert. Dann wĂ€re eine neue Grundlage fĂŒr Zusammenarbeit gegeben. Ein solches Szenario kann man sich zwar wĂŒnschen, doch sollte man sich auf das schlechtere vorbereiten.

Clemens Fuest
Professor fĂŒr Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
PrÀsident des ifo Instituts

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