Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die Alternative für Deutschland (AfD) als so genannten Verdachtsfall einstufen. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln gestern nach knapp zehnstündiger mündlicher Verhandlung entschieden und damit eine Klage der AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen. Es gebe ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei, führte das Gericht zur Begründung aus. Das Gericht hat auch in drei weiteren Klageverfahren der AfD Urteile erlassen. In zwei dieser Verfahren war die Partei zumindest teilweise erfolgreich. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses fand die mündliche Verhandlung in einem Saal der Koelnmesse statt.
Im Einzelnen hat das Gericht Urteile in folgenden vier Verfahren verkündet:
1. 13 K 326/21 (Einstufung der AfD)
In diesem Verfahren wandte sich die AfD dagegen, vom BfV als Verdachtsfall eingestuft zu werden. Ferner wollte sie verhindern, dass das BfV eine solche Einstufung öffentlich mitteilt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, eine solche Einstufung komme in ihrer Wirkung einem Parteiverbot gleich, weshalb auch die für ein solches Verbot geltenden Maßstäbe anzulegen seien. Auch fehle es an tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei. Der so genannte Flügel habe sich bereits 2020 aufgelöst. Die Partei propagiere keinen ethnischen Volksbegriff. Im Übrigen fehle es an Erklärungen, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei lieferten. Gegebenenfalls auch polemische Kritik einer Oppositionspartei gegenüber den übrigen Parteien oder der Bundesregierung sei nicht sogleich Kritik am parlamentarischen Regierungssystem. Zudem habe sich das BfV von sachfremden Erwägungen leiten lassen und handele politisch.
Dem ist das Gericht im Ergebnis nicht gefolgt. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter der zuständigen 13. Kammer aus: Es lägen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD vor. Dies habe das BfV in Gutachten und den dazugehörigen Materialsammlungen unter Kontextualisierung der als relevant erachteten Aussagen belegt. Dem habe die AfD lediglich pauschales Bestreiten entgegengesetzt. Die Einschätzung des BfV beruhe auf einer nicht zu beanstandenden Gesamtbetrachtung. In diese seien zum einen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem so genannten Flügel einbezogen worden. Dieser sei zwar formal aufgelöst worden. Seine Protagonisten übten aber teils weiter maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus. Zum zweiten seien Aktivitäten in der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) in die Bewertung eingeflossen. Sowohl im Flügel als auch in der JA sei ein ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und sollten „Fremde“ möglichst ausgeschlossen werden. Dies weiche vom Volksbegriff des Grundgesetzes ab. Es gebe Verlautbarungen, in denen „Umvolkungs-“ und „Volkstod-“Vorwürfe erhoben würden. Ferner sei eine ausländerfeindliche Agitation zu erkennen („Messer-Migranten“). Drittens rechtfertige auch eine Betrachtung der Partei im Übrigen ihre Einstufung als Verdachtsfall. Diese befinde sich in einem Richtungsstreit, bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten. Nicht erforderlich sei für eine Einstufung als Verdachtsfall, dass eine Partei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde.
Das Bundesamt dürfe die Einstufung als Verdachtsfall auch öffentlich mitteilen, um eine politische Auseinandersetzung zu ermöglichen.
2. 13 K 207/20 (Einstufung des sog. Flügels)
Die Klage war teilweise erfolgreich. Die Klägerin wandte sich in diesem Verfahren gegen die in der Vergangenheit erfolgte Einstufung des so genannten Flügels als Verdachtsfall sowie die im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens erfolgte Hochstufung zu einer „gesichert extremistischen Bestrebung“. Das Gericht hat mit seinem Urteil in diesem Verfahren entschieden, dass das BfV den Flügel als Verdachtsfall einstufen durfte. Insofern nahm der Vorsitzende der Kammer in seiner mündlichen Urteilsbegründung der Sache nach Bezug auf seine auf den Flügel bezogenen Ausführungen in dem Verfahren 13 K 326/21. Die (über die Einstufung als Verdachtsfall hinaus gehende) Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ sei heute – nach der formalen Auflösung des Flügels – unzulässig. Eine solche Einstufung erfordere wegen ihrer Intensität Gewissheit über die Existenz des Beobachtungsobjekts, hier des Flügels. Daran fehle es auf der Grundlage der vom BfV vorgelegten Erkenntnisquellen jedoch. Das BfV wolle insoweit nach seinem Vorbringen durch die Beobachtung gerade klären, inwiefern der Flügel weiter fortbestehe und Einfluss habe. Das Gericht untersagte dem BfV auch, weiterhin öffentlich mitzuteilen, der Flügel sei als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft worden.
3. 13 K 208/20 (Einstufung der JA)
Die Klage blieb ohne Erfolg. Mit ihr wandten sich die AfD und als weitere Klägerin die JA gegen die Einstufung der JA als Verdachtsfall. Diese ist nach dem Urteil des Gerichts indes nicht zu beanstanden. Es bestünden ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der JA. Zur weiteren Begründung nahm der Vorsitzende der Kammer in seiner mündlichen Urteilsbegründung Bezug auf seine auf die JA bezogenen Ausführungen in dem Verfahren 13 K 326/21, insbesondere zum sog. Deutschlandplan.
4. 13 K 325/21 (Mitgliederzahl des sog. Flügels)
Die Klage hatte Erfolg. Mit ihr wandte sich die AfD dagegen, dass das BfV öffentlich mitteilt, der so genannte Flügel habe 7.000 Mitglieder. Eine solche Mitteilung ist nach dem Urteil des Gerichts unzulässig. Das Gesetz verlange für eine solche Mitteilung – im Gegensatz zu einer Einstufung als Verdachtsfall, für die tatsächliche Anhaltspunkte ausreichten – „hinreichend gewichtige“ tatsächliche Anhaltspunkte. Damit sei mehr erforderlich als die vom Bundesamt zur Begründung seiner Mitteilung angeführte Schätzung der Mitgliederzahl.
Gegen die Urteile können die Beteiligten jeweils Berufung einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.
Foto/Text: Verwaltungsgericht Köln am 08. März 2022