Die Bundesregierung wappnet sich weiter für eine Zuspitzung der Lage auf den Energiemärkten. Dazu hat das Bundeskabinett heute in einem schriftlichen Umlaufverfahren eine Formulierungshilfe für eine Anpassung des Energiesicherungsgesetzes und weiterer Folgeänderungen, u.a. des Energiewirtschaftsgesetzes beschlossen. Die Formulierungshilfe wird in einem nächsten Schritt über die Fraktionen der Regierungskoalition in den Bundestag eingebracht. Ziel ist ein schneller Abschluss des parlamentarischen Verfahrens.
Vizekanzler und Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Foto) erklärte dazu: „Die Lage am Gasmarkt ist angespannt und wir können eine Verschlechterung der Situation leider nicht ausschließen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage zuspitzt. Deshalb schärfen wir mit der Novelle des Energiesicherungsgesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes unsere Instrumente noch mal nach. Es geht darum, alles zu tun, um auch im kommenden Winter die grundlegende Versorgung aufrechtzuerhalten und die Energiemärkte so lange es geht am Laufen zu halten, trotz hoher Preise und wachsender Risiken.“
Mit dem Entwurf werden vor allem Anpassungen im Energiesicherungsgesetz vorgenommen, um die Instrumente zur Stärkung der Vorsorge noch einmal zu erweitern.
Neben Präzisierungen und Konkretisierungen zum bestehenden Preisanpassungsrecht des § 24 Energiesicherungsgesetz (EnSiG) wird ein neues, alternatives Instrument eingeführt, das sogenannte saldierte Preisanpassungsrecht des § 26 EnSiG. Dabei handelt es sich um einen Mechanismus, bei dem die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung infolge von verminderten Gasimporten gleichmäßig auf alle Gaskunden verteilt werden können.
Beide Instrumente – sowohl das Preisanpassungsrecht des § 24 EnSiG wie auch das saldierte Preisanpassungsrecht des § 26 EnSiG – sind an enge Voraussetzungen geknüpft und sollen aktuell nicht aktiviert werden. Sie sollen aber als Optionen im Instrumentenkasten zur Verfügung stehen, um im Falle weiter steigender Gaspreise und einer Zuspitzung der Lage in den kommenden Monaten handlungsfähig zu sein.
Übergreifendes Ziel beider, alternativ zueinander stehender Preisanpassungsrechte ist es, die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu verhindern. So ist bei verminderten Gasimporten damit zu rechnen, dass Gas am Markt deutlich teurer wird. Können die Energieunternehmen die hohen Preise nicht bezahlen und somit ihre Verträge nicht erfüllen, drohen finanzielle Schieflagen bis hin zu Insolvenzen. Brechen diese Energieunternehmen weg, drohen ernste Störungen im gesamten Markt entlang der Lieferkette bis hin zum Letztverbraucher. Um das zu vermeiden, können außerordentliche gesetzliche Preisanpassungsrechte, zeitlich befristet und unten engen Voraussetzungen erforderlich werden und dann aktiviert werden.
Des Weiteren werden in § 29 EnSiG zeitlich befristet gesellschaftsrechtliche Anpassungen eingeführt, die es der Bundesregierung ermöglichen und erleichtern Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Energiesektor zu stabilisieren. Denn auch diese Stabilisierungsmaßnahmen können notwendig sein, um Marktprozesse aufrechtzuerhalten und auch hier Kaskadeneffekte zu vermeiden. Für Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Energiesektor, die nach § 17 EnSiG unter Treuhandverwaltung des Bundes stehen, werden zusätzlich mit § 17a EnSiG ergänzende Regelungen für Kapitalmaßnahmen getroffen
Stabilisierungsmaßnahmen für Energieunternehmen können helfen, dass Preisanpassungsmechanismen nicht zum Einsatz kommen müssen. Daher wird im Gesetz in der Rangfolge der verschiedenen Instrumente klargestellt, dass die Stabilisierungsmöglichkeiten im Sinn des § 29 Abs. 1 EnSiG vorrangig zu den beiden Preisanpassungsmechanismen zu prüfen sind.
Zusätzlich wird auch der Instrumentenkasten für mögliche Einzelmaßnahmen zum Energiesparen noch einmal erweitert. Mit einer neuen Verordnungsermächtigung sollen Maßnahmen auch vor Eintritt des Krisenfalls und vor dem Einsatz der Bundeslastverteilung getroffen werden können, also zum Beispiel bereits nach Ausrufung der Frühwarnstufe Gas. Durch Rechtsverordnung können so beispielsweise Maßnahmen zur Energieeinsparung geregelt werden.
Weitergehende Informationen zu den Inhalten der Formulierungshilfe:
Im Einzelnen enthält die Formulierungshilfe zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes folgende Anpassungen
1. Anpassungen im Energiesicherungs-gesetz
1.1. Erweiterung der Verordnungsermächtigungen des EnSiG für Einzelmaßnahmen, u.a. Energieeinspar-maßnahmen
Mit einer neuen Verordnungsermächtigung sollen Maßnahmen auch vor Eintritt des Krisenfalls und der Einsatz der Bundeslastverteilung getroffen werden können (z.B. schon nach Ausrufung der Frühwarnstufe Gas), sofern dies geboten und erforderlich ist. Möglich sind Maßnahmen zur Energieeinsparung, Maßnahmen bei schienengebundenen Transporten von Energieträgern bzw. Großtransformatoren und Erleichterungen beim Umweltrecht, insbesondere beim Immissionsschutzrecht für Anlagenbetreiber.
1.2. Preisanpassungsmechanismus des § 24 EnSiG – klarstellende Anpassungen und Präzisierungen
Das novellierte und am 22. Mai 2022 in Kraft getretene Energiesicherungsgesetz sieht in § 24 EnSiG außerordentlich gesetzliche Preisanpassungsrechte vor. Diese werden jetzt präzisiert. So wird im Gesetz noch einmal klarer hervorgehoben, dass Voraussetzung für Preisanpassungsrechte die Feststellung einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland durch die Bundesnetzagentur ist und es keine automatische Aktivierung der gesetzlichen Preisanpassungsrechte bei der Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe gemäß dem Notfallplan Gas gibt. Das bedeutet, dass die Feststellung der Bundesnetzagentur zur Aktivierung des Preisanpassungsrechts des § 24 EnSiG zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann als die Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe.
Ziel der Regelung des § 24 EnSiG ist, die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu verhindern. So ist bei verminderten Gasimporten damit zu rechnen, dass Gas am Markt deutlich teurer wird. Können die Energieunternehmen die hohen Preise nicht bezahlen bzw. ihre Verträge nicht erfüllen, drohen finanzielle Schieflagen bis hin zu Insolvenzen. Brechen aber die Energieunternehmen weg, so drohen ernste Störungen im gesamten Markt entlang der Lieferkette bis hin zum Letztverbraucher. Um das zu vermeiden, werden Preisanpassungsregeln ausnahmsweise, zeitlich befristet und unten engen Voraussetzungen zulässig.
Die Preisanpassungsrechte sind mit klaren Leitplanken versehen: Die Preisanpassung muss angemessen sein. Es ist klargestellt, dass eine Preisanpassung nicht die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung überschreiten darf, die dem jeweils betroffenen Energieversorgungsunternehmen aufgrund der Reduzierung der Gasimportmengen für das an den Kunden zu liefernde Gas entstehen. Zudem bleibt es Kunden, die von Preisanpassungen betroffen sind, natürlich unbenommen sich auch für eine unverzügliche fristlose Kündigung des Liefervertrags entscheiden.
Sobald eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland nicht mehr vorliegt, muss die Bundesnetzagentur diese Feststellung aufheben. Das gesetzliche Preisanpassungsrecht entfällt dann.
1.3. Ausübung von force majeure wird unter Vorbehalt der Bundesnetzagentur gestellt
Neu und den Instrumentenkasten ergänzend ist eine Regelung über Leistungsverweigerungsrechte. Die Ausübung von Leistungsverweigerungsrechten, häufig als „force majeure“-Fall bezeichnet, die nur in den wenigsten Fällen tatsächlich bestehen dürften, wird unter den Vorbehalt der Genehmigung der Bundesnetzagentur gestellt.
Dieser Genehmigungsvorbehalt dient dem Interesse der Versorgungssicherheit. Er schützt die Abnehmer von Gas vor Liefereinstellungen oder – reduzierungen und damit letztlich die Verbraucher vor Störungen und weiteren Verunsicherungen im Markt. Das bedeutet konkret, dass ein Energieversorgungsunternehmen sich nicht auf Force Majeure berufen kann, wenn es von deutlich höheren Beschaffungspreisen getroffen ist, d.h. auch bei stark gestiegenen Beschaffungskosten muss die Beschaffung erfolgen und der Lieferpflicht an Kunden nachgekommen werden.
1.4. Neues Instrument: Saldierte Preisanpassung nach § 26 EnSiG
Alternativ zum Preisanpassungsrechten des § 24 EnSiG wird vorsorglich eine Verordnungsermächtigung für einen Umlagemechanismus geschaffen – für eine sogenannten saldierte Preisanpassung im Sinne des § 26 EnSiG. Dazu wird eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung aufgenommen. Der Mechanismus kann folglich erst dann eingreifen, wenn die erforderliche Rechtsverordnung erlassen und in Kraft getreten ist.
Sinn und Zweck des saldierten Preisanpassungsmechanismus des § 26 EnSiG ist ebenso wie beim Preisanpassungsmechanismus des § 24 EnSiG die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu verhindern.
Konkret würden beim saldierten Preisanpassungsmechanismus des § 26 EnSiG die durch einen „unabhängigen Kassenwart“ ermittelten Mehrkosten für die Ersatz-Beschaffung über eine Umlage auf alle Gas-Kunden verteilt werden.
Auch der saldierte Preisanpassungsmechanismus des § 26 EnSiG greift nur unter engen Voraussetzungen, die in einer Rechtsverordnung genau ausbuchstabiert werden müssen. Voraussetzung ist auch hier, dass eine „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland unmittelbar bevorsteht oder von der Bundesnetzagentur nach § 24 Absatz 1 Satz 1 festgestellt worden ist. Die Anspruchsberechtigten des finanziellen Ausgleichs sind die von einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimporte nach Deutschland unmittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen (Gasimporteure). Die Mehrkosten sollen in einem „transparenten und diskriminierungsfreien“ Verfahren ermittelt werden.
Der Unterschied zum Preisanpassungsmechanismus liegt darin, dass ein Ausgleich über alle Gas-Kunden erfolgt und dieser dann für alle Gas-Kunden gleich hoch ist. Der Preisanpassungsmechanismus ist enger und hängt davon ab, welcher Importeur die Preise weiterreicht.
1.5. Gesellschaftsrechtliche Beschleunigungsmaßnahmen für Stabilisierungsmaßnahmen zum Schutz von Unternehmen, die kritische Energieinfrastruktur betreiben (§ 29 EnSiG)
Zur Erweiterung des Instrumentenkastens und um kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen umsetzbar zu machen werden zeitlich befristet gesellschaftsrechtliche Erleichterungen eingeführt. Damit wird die Durchführung und praktische Umsetzung von Stabilisierungsmaßnahmen bei Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Energiesektor für den Bund erleichtert. Solche Regelungen haben sich bereits beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds in der Corona-Krise bewährt. Mit dem vorliegenden Entwurf werden die entsprechenden Vorschriften des Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes auf Stabilisierungsmaßnahmen nach dem Energiesicherungsgesetz übertragen.
Die Vorschriften sehen beispielsweise Erleichterungen bei der gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung für Kapitalmaßnahmen vor.
In der Rangfolge der § 24, 26 und 29 EnSiG wird im Gesetz klargestellt, dass die Stabilisierungsmöglichkeiten im Sinn des § 29 Abs. 1 EnSiG vorrangig zu den Optionen nach § 26 und § 24 des Energiesicherungsgesetzes zu prüfen sind.
1.6. Kapitalmaßnahmen für Unternehmenunter Treuhandverwaltung (§ 17a EnSiG)
Für Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Energiesektor, die nach § 17 EnSiG unter Treuhandverwaltung des Bundes stehen, werden mit § 17a EnSiG ergänzende Regelungen für Kapitalmaßnahmen getroffen. Insbesondere werden in Sanierungsverfahren übliche Instrumente zur Optimierung der bilanziellen Situation zugelassen und dadurch Finanzierungen vereinfacht. Die Durchführung solcher Kapitalmaßnahmen bedarf einer gesonderten gesetzlichen Grundlage, die jetzt geschaffen wird. Das ist notwendig, um auch hier den Instrumentenkasten zu füllen und die Vorsorge zu erweitern.
2. Anpassungen im Energiewirtschafts-gesetz
Die Novelle enthält außerdem Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), die ebenfalls die Krisenvorsorge stärken sollen und sich konkret auf die Rechtsverordnungen zum Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz beziehen. Dies umfasst u.a. die Verlängerung der Möglichkeit zur Reduzierung der Gasverstromung. So muss die Reduzierung der Gasverstromung ebenfalls durch Rechtsverordnung angeordnet werden. Die entsprechende Rechtsverordnung war bislang auf maximal sechs Monate begrenzt und soll jetzt auf neun Monate erweitert werden.
Außerdem wird die Möglichkeit der Strommarktteilnahme der Kohlekraftwerke erst ab der Ausrufung der Alarmstufe ermöglicht. Auch werden die Pflichten zur Betriebsbereitschaftshaltung erweitert. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Kraftwerke neben der Strommarktteilnahme auch für Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber bereitstehen müssen.
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