Ăbersichtsarbeit zeigt: Nicht-operative Therapie fĂŒhrt zu Ă€hnlich guten Ergebnissen.
Ein multidisziplinĂ€res Team von Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und Australien hat in einer Meta-Analyse von randomisierten, kontrollierten Studien zwei verschiedene TherapieansĂ€tze bei einem vorderen Kreuzbandriss verglichen. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten die Standardtherapie, eine Operation kurz nach dem Unfall, und einen konservativen Therapieansatz, bei dem der Patient zunĂ€chst Physiotherapie erhĂ€lt und das Knie nur dann operiert wird, wenn es nach der Rehabilitation noch nötig ist. Das Forschungsteam fand keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen der frĂŒhen chirurgischen Rekonstruktion und der primĂ€ren Rehabilitation mit optionaler Rekonstruktion. Die Ergebnisse ihrer Metaanalyse veröffentlichten die Forscher*innen am 30. August 2022 im British Journal of Sports Medicine.
Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist eine der hĂ€ufigsten Sportverletzungen in Deutschland. Bei jungen, agilen Patient*innen empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Unfallchirurgie eine chirurgische Rekonstruktion des Kreuzbandes. âEine Operation ist immer mit Risiken fĂŒr den Patienten verbunden. Es gibt einen langen Heilungsprozess und erhebliche finanzielle Kosten fĂŒr das Gesundheitssystem. Deshalb wollten wir ĂŒberprĂŒfen, ob der Ansatz, immer sofort zu operieren, wirklich der einzig richtige Weg istâ, erklĂ€rt Prof. Dr. Daniel Belavy, Professor fĂŒr Physiotherapie an der Hochschule fĂŒr Gesundheit in Bochum und Letztautor der Studie.
Das Team schloss neun Publikationen aus drei verschiedenen randomisierten kontrollierten Studien in die Analyse ein. Sie stellten fest, dass unabhĂ€ngig davon, welche der beiden BehandlungsansĂ€tze gewĂ€hlt wurde, eine deutliche und Ă€hnliche Verbesserung in der Kniefunktion erreicht werden konnte. Zudem konnten sie zeigen, dass eine frĂŒhe chirurgische Rekonstruktion des Kreuzbands keinen schĂŒtzenden Effekt gegen das zukĂŒnftige Auftreten einer Kniearthrose hatte. Nach Ansicht der Autoren sind jedoch weitere Studien nötig, um die Evidenz der Ergebnisse zu erhöhen. Bei Patientinnen mit Meniskusschaden des Knies fanden die Autoren einen leichten Vorteil fĂŒr Patientinnen mit sofortiger vorderer Kreuzbandrekonstruktion, wobei die die Evidenz dieses Ergebnisses ebenfalls als gering eingeschĂ€tzt wurde.
Da es keine klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den BehandlungsansĂ€tzen gab, schlagen die Autorinnen eine patientenzentrierte Behandlungsform vor. AbhĂ€ngig von der medizinischen Situation der Patientinnen, den individuellen anatomischen Unterschieden und den funktionellen Anforderungen im Alltag und/oder Sport sollte mit dem behandelnden Arzt/Ărztin oder Therapeutin eine individuelle Behandlungsstrategie festgelegt werden, so die Autorinnen. FĂŒr viele Patientinnen mit Kreuzband-Verletzungen ohne schwerwiegende Begleitverletzungen sei ein stufenweiser Behandlungsansatz mit einer primĂ€r rehabilitationsorientierten Behandlung sinnvoll, insbesondere im Hinblick auf die Kosteneffizienz und die Vermeidung von Operationsrisiken, so die Wissenschaftlerinnen. âDie Ergebnisse stellen das historische Paradigma in Frage, dass anatomische InstabilitĂ€t mit einem primĂ€ren chirurgischen Ansatz angegangen werden sollteâ, so die Autor*innen.
Das Team wĂ€hlte einen âLiving Systematic Reviewsâ-Ansatz, bei dem sich die Autor*innen verpflichten, ihre Ergebnisse einmal jĂ€hrlich zu aktualisieren. Es wurden aktuell drei weitere Studien identifiziert, die derzeit laufen und der Analyse hinzugefĂŒgt werden, sobald ihre Ergebnisse verfĂŒgbar sind.
âWĂ€hrend unserer Arbeit haben wir erkannt, dass dringend weitere Studien notwendig sind, die die primĂ€re vordere Kreuzbandrekonstruktion mit der konservativen Therapie vergleichen. Wir warten gespannt auf die Ergebnisse der laufenden Studien. Wir haben auch ein besonderes Interesse an Profisportler*innen: Ob und wie sie mit oder ohne Operation zum Training und Wettkampf zurĂŒckkehren können, ist eine wichtige Frage, zu der wir dringend mehr Daten benötigenâ, erklĂ€rt Dr. Patrick Owen von der australischen Deakin University.
Foto: Forscherinnen sprechen sich fĂŒr eine individuelle Behandlungsstrategie fĂŒr Patientinnen mit vorderem Kreuzbandriss aus. (c) HS Gesundheit/JĂŒrgen Nobel