Nach Recherchen des ARD Politikmagazins „Report Mainz“ lassen Pflegeeinrichtungen Betten leer stehen, obwohl eine große Nachfrage danach besteht. Hintergrund sind neben dem Fachkräftemangel auch der zunehmende Einsatz von teuren Zeitarbeitern, die personelle Lücken schließen sollen. Das berichten mehrere Pflegeinsider „Report Mainz“ gegenüber.
Auch die Residenzdirektorin der pro seniore Einrichtung im rheinland-pfälzischen Cochem, Margarete Vehrs, hat entschieden, die Zahl der belegten Betten deutlich zu reduzieren. Mit dieser Maßnahme könnten, so Vehrs, fast alle Bewohner von festangestelltem Stammpersonal versorgt werden. Derzeit stünden daher in dem Heim in Cochem 15 von 70 Betten leer, also über 20 Prozent. „Das machen viele Kollegen auch“, sagte die Residenzdirektorin im „Report Mainz“-Interview. Der Einsatz von teuren Leiharbeitern könne so deutlich verringert werden.
Zusatzkosten für Leiharbeiter werden nicht refinanziert
Durch den Einsatz eines Leiharbeiters oder einer Leiharbeiterin in der Cochemer Einrichtung entstünden monatliche Kosten in Höhe von über zehntausend Euro. Für vergleichbare festangestellte Pflegekräfte müssten nur rund 4.300 Euro veranschlagt werden. Problematisch seien Leiharbeiter für Heimträger deshalb, weil die Zusatzkosten von den Kostenträgern nicht refinanziert werden. „Gesamtwirtschaftlich kann ein Haus dadurch zugrunde gehen“, sagte Vehrs. Derzeit beschäftigt sie vier Leiharbeiter.
Privilegierte Leiharbeiter in der Altenpflege
Immer mehr Pflegekräfte wechseln in die Zeitarbeit. Laut Bundesagentur für Arbeit waren es 2018 rund 12.000, 2022 bereits 17.000. Zeitarbeitsfirmen bieten Pflegenden teilweise eine deutlich höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen an, als sie festangestellte Fachkräfte bekommen. So können Leiharbeiter bis zu 1.000 Euro netto im Monat mehr verdienen, einen Dienstwagen und Einfluss auf die Dienstpläne erhalten. Diese Privilegierung von Leiharbeitern führt immer wieder zu Spannungen beim Stammpersonal. Die festangestellten Pflegenden fühlen sich oftmals als Mitarbeiter zweiter Klasse.
Versorgungsengpass in der Altenpflege droht
Der Sozialwissenschaftler Prof. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz hat sich intensiv mit der Problematik von Leiharbeitern in der Pflege beschäftigt und hält diese Entscheidung für richtig. Gegenüber „Report Mainz“ sagte er: „Das wird allerdings dazu führen, dass viele Familien in den vor uns liegenden Jahren keinen Pflegeheimplatz für ihre Angehörigen mehr bekommen werden“.
Wie reagiert die Bundesregierung auf diese Entwicklung? Auf die „Report Mainz“-Frage, wie sie Leiharbeit in der Altenpflege eindämmen und die Versorgung alter- und pflegebedürftiger Menschen sicherstellen will, antworten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gemeinsam:
Es seien bereits „verschiedene Maßnahmen vereinbart“ worden, „um […] die Zahl an Leiharbeitskräften zu reduzieren“. „Der Koalitionsvertrag“ enthalte „weitere Maßnahmen: Zum Beispiel die „Abschaffung geteilter Dienste“, „die Einführung trägereigener Springerpools“ und „familienfreundliche Arbeitszeiten“. Außerdem werde das sogenannte „Personalbemessungsverfahren für Pflegeeinrichtungen“ umgesetzt. „In einem ersten Schritt wurde die Finanzierung von 13.000 zusätzlichen Fachkraft- und 20.000 zusätzlichen Hilfskraftstellen in der Langzeitpflege ermöglicht. Ab 1. Juli 2023 […] können weitere Fach- und Hilfskräfte zusätzlich vereinbart werden.“
Unzureichende Maßnahmen der Bundesregierung
Die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung seien völlig unzureichend, kritisiert Sozialwissenschaftler Sell. Die in der Antwort der Ministerien erwähnten 13.000 zusätzlichen Pflegekräfte seien bereits 2018 in die Welt gesetzt worden: „Viele dieser 13.000 damals versprochenen Stellen sind bis heute nicht besetzt, schlichtweg weil es keine Pflegekräfte gibt. Und die im Jahr 2023 erneut als einen Lösungspunkt vorzutragen, ist schon eine ziemliche Frechheit“, so Sell im Interview mit „Report Mainz“.
Neue Studie
Das Thema „Leiharbeit in der Pflege“ wird jetzt in einer vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebenen Studie aufgegriffen. Die Ergebnisse würden „zeitnah veröffentlicht“, sagte eine Ministeriumssprecherin dem ARD Politikmagazin.
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