Bundesverfassungsgericht. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der Zweite Senat entschieden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel durch eine im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika am 6. Februar 2020 in Pretoria getätigte Äußerung zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und deren anschließende Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung die Partei Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat.
Im Februar 2020 war Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt worden. An der Wahl wurde wegen der angenommenen Mitwirkung von Abgeordneten sowohl der AfD- als auch der CDU-Landtagsfraktion heftige öffentliche Kritik geübt. Die Bundeskanzlerin äußerte sich dazu am Tag nach der Wahl im Rahmen eines Staatsempfangs mit dem Präsidenten der Republik Südafrika dahingehend, dass die Ministerpräsidentenwahl mit einer „Grundüberzeugung“ gebrochen habe, „für die CDU und auch für mich“, wonach mit „der AfD“ keine Mehrheiten gewonnen werden sollten. Der Vorgang sei „unverzeihlich“, weshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden müsse. Es sei „ein schlechter Tag für die Demokratie“ gewesen.
Bundeskanzlerin Merkel hat mit der getätigten Äußerung in amtlicher Funktion die Antragstellerin negativ qualifiziert und damit in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt. Der damit verbundene Eingriff in das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist weder durch den Auftrag des Bundeskanzlers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung sowie des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft gerechtfertigt, noch handelt es sich um eine zulässige Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Durch die anschließende Veröffentlichung der Äußerung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung haben die Antragsgegnerinnen außerdem auf Ressourcen zurückgegriffen, die allein ihnen zur Verfügung standen. Indem sie auf diese Weise das in der Äußerung enthaltene negative Werturteil über die Antragstellerin verbreitet haben, haben sie die Antragstellerin eigenständig in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb verletzt.
Bundesverfassungsgericht am 15. Juni 2022
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