Bischöfin Kirsten Fehrs ĂŒbernimmt Ratsvorsitz kommissarisch
Annette Kurschus (Foto) ist heute mit sofortiger Wirkung vom Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurĂŒckgetreten und scheidet aus dem Rat der EKD aus.
Kurschus Ă€uĂerte sich in einer medienöffentlichen persönlichen ErklĂ€rung in Bielefeld wie folgt:
„Die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Kirche in Deutschland sind seit Jahren der Mittelpunkt meines Lebens. Nicht nur meine Tage, auch mein ganzes Denken und Handeln sind davon bestimmt. Daran hat sich nichts geĂ€ndert.
Doch in den letzten Tagen haben sich Ereignisse ĂŒberschlagen. Aus einem zunĂ€chst rein lokalen und regionalen Vorgang wurde ein Fall von bundesweiter Bedeutung. Inzwischen hat sich die Lage derart zugespitzt, dass es fĂŒr mich nur eine Konsequenz gibt, um Schaden von meiner Kirche abzuwenden: Ich trete von beiden kirchlichen LeitungsĂ€mtern zurĂŒck.
In der Sache bin ich mit mir im Reinen. Ich habe zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Seit mehr als einer Woche wird in der Ăffentlichkeit ein Konflikt geschĂŒrt. Ein Konflikt zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und mir als AmtstrĂ€gerin. Diesen Konflikt möchte ich schon deshalb auf keinen Fall austragen, weil das die Erfolge gefĂ€hrden könnte, die wir in der Aufarbeitung und BekĂ€mpfung sexualisierter Gewalt gemeinsam mit Betroffenen in vielen Jahren errungen haben. Und die es weiterhin zu erringen gilt. FĂŒr die Menschen, die hier an der Arbeit sind, stehe ich. Ihnen will ich nicht mit Schlagzeilen durch einen Verbleib im Amt schaden.
Der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein und meine westfĂ€lische Landeskirche setzen sich seit Anfang dieses Jahres mit VerdachtsfĂ€llen sexualisierter Gewalt auseinander, die zum Teil Jahrzehnte zurĂŒckliegen. Die Verantwortlichen arbeiten mit all ihnen zur VerfĂŒgung stehenden Mitteln daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dabei werden die Betroffenen durch die Kirche intensiv unterstĂŒtzt.
Der Verdacht richtet sich gegen einen Mann, mit dessen Familie ich lange befreundet war. Nie stand ich zu ihm in einem DienstverhĂ€ltnis, auch nicht zu meiner Zeit als Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis Siegen. Ich wĂŒnschte, ich wĂ€re vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel fĂŒr Verhaltensmunster gewesen, die mich heute alarmieren wĂŒrden. Ich habe allein die HomosexualitĂ€t und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen.
Mein aufrichtiges BemĂŒhen darum, Persönlichkeitsrechte zu schĂŒtzen – auch beschuldigte Menschen und deren Familien sind und bleiben Personen mit Rechten! -, wird als mangelnde Transparenz kritisiert. Als der Versuch, meine eigene Haut zu retten oder mein kirchliches Amt zu schĂŒtzen. Das ist umso bitterer, als es mir niemals – und das betone ich ausdrĂŒcklich! – niemals darum ging, mich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen, wichtige Fakten zurĂŒckzuhalten, Sachverhalte zu vertuschen oder gar einen Beschuldigten zu decken.
Inzwischen hat die Frage nach meiner GlaubwĂŒrdigkeit öffentlich eine derartige Eigendynamik entfaltet, dass eine absurde und schĂ€dliche Verschiebung eingetreten ist: Statt um die Betroffenen und deren Schutz geht es seit Tagen ausschlieĂlich um meine Person. Das muss endlich aufhören. Es zieht die Aufmerksamkeit ab von den Betroffenen und von der AufklĂ€rung des Unrechts, das ihnen angetan wurde. Um diese AufklĂ€rung geht es. Diese AufklĂ€rung gehört in den Fokus.
In aller evangelischen Freiheit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen pointiert Stellung zu nehmen, theologisch auch Unbequemes klar beim Namen zu nennen: All das wird mir durch die aktuelle Entwicklung kĂŒnftig nicht mehr so möglich sein, wie es die Ămter einer Ratsvorsitzenden und einer westfĂ€lischen PrĂ€ses verlangen und wie es mir selbst am Herzen liegt.
Deshalb – und nur deshalb! – trete ich heute mit sofortiger Wirkung von den Ămtern der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und der PrĂ€ses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurĂŒck.
Dieser Schritt fĂ€llt mir nicht leicht. Ich habe ihn reiflich geprĂŒft. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung, nicht zuletzt fĂŒr mich persönlich. Gern hĂ€tte ich mir noch mehr Zeit dafĂŒr gelassen. Aber in unserer westfĂ€lischen Kirche steht Ende dieser Woche die Tagung der Landessynode an. Da muss fĂŒr die weiteren Planungen Klarheit herrschen.
Sie wissen: Ich habe die Aufgaben in beiden Ămtern mit Leidenschaft und Herzblut wahrgenommen. Aus dem Evangelium heraus meine Stimme zu erheben fĂŒr diejenigen, die sonst wenig zu Wort kommen: DafĂŒr schlĂ€gt mein Herz.
In beiden Ămtern liegt eine groĂe Verantwortung, beide sind mit einem hohen MaĂ an öffentlicher Wirksamkeit verknĂŒpft.
Der Dienst, der hier zu tun ist, lebt nicht allein von dem Vertrauen, das einzelne Menschen in mich setzen. Er setzt ein öffentliches Vertrauen in meine Person voraus. Dieses Vertrauen hat Schaden genommen. Und zwar ausgerechnet in dem Bereich, den ich beim Amtsantritt ausdrĂŒcklich zu meiner „Chefinnensache“ gemacht habe.
Menschen, denen im Raum unserer evangelischen Kirche durch sexualisierte Gewalt schlimmes Unrecht angetan wurde, uneingeschrĂ€nkte AufklĂ€rung und Aufarbeitung dieses Unrechts zuzusichern: Das war meine erklĂ€rte Absicht. Mit den starken Möglichkeiten meiner FĂŒhrungsposition alles zu tun, was strukturell solches Unrecht verhindern kann: Das war mein Ansinnen. Um diese Absicht, um dieses Ansinnen geht es unserer Kirche. Unbedingt. DafĂŒr werde ich auch weiter einstehen.
Ich weiĂ, dass viele Menschen enttĂ€uscht sind ĂŒber meine Entscheidung.
Vor allem in meiner westfÀlischen Landeskirche: Gemeindeglieder, Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitende, Mitglieder der westfÀlischen Kirchenleitung.
Mich haben persönliche Vertrauensbekundungen erreicht, die mich tief berĂŒhren. Danke dafĂŒr! Viele haben mich gebeten, im PrĂ€sesamt meiner Landeskirche zu bleiben. Es geht nicht.
Die EnttÀuschten wissen: Ich kann meinen Dienst nicht wirksam tun, wenn meine Aufrichtigkeit öffentlich angezweifelt und infrage gestellt wird.
Mit Gott und mir selbst bin ich im Reinen, und so gehe ich sehr traurig, aber getrost und aufrecht.“
Die stellvertretende Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs ĂŒbernimmt ab sofort kommissarisch das Amt des EKD-Ratsvorsitzes.
Hannover, 20. November 2023 – Pressestelle der EKD
Foto: Annette Kurschus (c) EKD / Jens Schulze