Tourismus/Anhörung
Berlin: (hib/HAU) Die Kreuzfahrtbranche sieht sich auf einem guten Weg, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sowohl bei der verstĂ€rkten Landstromnutzung als auch bei der Entwicklung nachhaltiger Schiffskraftstoffe seien deutliche Fortschritte zu erkennen, machten die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Fluss- und Hochseekreuzfahrtunternehmen wĂ€hrend einer öffentlichen Anhörung des Tourismusausschusses am Mittwoch deutlich. Sönke Diesener vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) befand hingegen, dass Umwelt- und Klimaschutz noch immer nicht im Vordergrund bei Schiffsbetrieb und -neubau der Kreuzfahrtunternehmen stĂŒnden. Schweröl sei weiterhin der Treibstoff der Wahl fĂŒr das Gros der Bestandsflotten, sagte der NABU-Vertreter.
Helge Grammersdorf, Direktor von CLIA Deutschland, der deutschen Vertretung beim Weltverband der Kreuzfahrtindustrie, sagte, bereits heute seien fast 40 Prozent der weltweiten KreuzfahrtkapazitĂ€ten fĂŒr den Anschluss an Landstrom ausgerĂŒstet, wĂ€hrend jedoch nur zwei Prozent der HĂ€fen der Welt ĂŒber mindestens einen Kreuzfahrt-Liegeplatz mit Plug-in-Möglichkeit verfĂŒgen wĂŒrden. Die Kreuzfahrtindustrie wolle weg vom Schweröl, betonte er. Das aktuell verwendete LNG gelte als Ăbergangskraftstoff, âder nicht nur jetzt echte Vorteile bietet, sondern die Voraussetzung schafft, dass LNG-fĂ€hige Schiffe kĂŒnftige Generationen von nachhaltigen Schiffskraftstoffen nutzen könnenâ, machte Grammersdorf deutlich.
Wybcke Meier, Vorsitzende der GeschĂ€ftsfĂŒhrung bei der TUI Cruises GmbH, betonte ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr die langfristigen Ziele des EU Green Deal und des Fit-for-55-Pakets der EU-Kommission. âWir tragen damit zum nachhaltigen Wachstum in Europa beiâ, sagte sie. Ziel sei es, bis 2050 die gesamte Flotte – Mein Schiff und Hapag-Lloyd Cruises – klimaneutral zu betreiben. Bis 2030 wolle das Unternehmen bereits erste klimaneutrale Kreuzfahrten anbieten und absolute CO2-Emissionen signifikant reduzieren. Wann ein kompletter Verzicht auf Schweröl möglich ist, sei aktuell nicht zu sagen, so Meier. Dies sei auch eine Frage der VerfĂŒgbarkeit alternativer Kraftstoffe. Insbesondere die neueren Schiffe ihrer Flotte seien âmethanol-readyâ, so Meier.
Felix Eichhorn, PrĂ€sident von AIDA Cruises, verwies auf die Green-Cruising-Strategie mit der sein Unternehmen in einem nĂ€chsten Schritt anstrebe, das erste Zero-Emission-Schiff in Dienst zu stellen. Schon jetzt sei aber die CO2-Bilanz moderner Kreuzfahrtschiffe beachtlich. âWir verbrauchen in einer Woche so viel CO2, wie ein One-Way-Flug von Hamburg nach Mallorcaâ, sagte er. Eichhorn machte deutlich, dass die Kreuzfahrtschiffe 40 Prozent ihrer Zeit in HĂ€fen lĂ€gen. Hier gelte es Landstrom zu nutzen, was aber einen weiteren Ausbau der entsprechenden Infrastruktur an Land erfordere. Derzeit gebe es in ganz Europa lediglich 20 derartig ausgestattete LiegeplĂ€tze.
Aus Sicht der Flusskreuzfahrtunternehmen braucht es jetzt schon Investitionen in Wasserstoff-Tankstellen. Diese Investition sei zukunftstrĂ€chtiger als eine Transition-Technologie wie LNG, sagte Sascha Gill, VizeprĂ€sident von IG RiverCruises. Ganz wichtig fĂŒr seine Branche seien aber auch Investitionen in die Schifffahrtswege. Es gebe Stellen, wo Kreuzfahrtschiffe bei Niedrigwasser nicht weiterfahren könnten – ebenso wenig wie die Cargo-Schiffe. âDort muss das Flussbett ausgebaggert werden, damit auch bei Niedrigwasser gefahren werden kannâ, forderte er.
Michael Ungerer, GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Kreuzfahrunternehmens Explora Journeys, das zur MSC Group gehört, sagte, bis 2050 wolle der Kreuzfahrtbetrieb keine Treibhausgasemissionen mehr verursachen. Explora Journeys habe vor kurzem PlĂ€ne fĂŒr den Bau von zwei Luxuskreuzfahrtschiffen bekannt gegeben, die mit einem branchenweit einmaligen Auffangsystem fĂŒr flĂŒssigen Wasserstoff ausgestattet wĂŒrden, âdass ihnen die Nutzung dieses vielversprechenden kohlenstoffarmen Kraftstoffs ermöglichtâ. Der Wasserstoff-Brennstoff werde eine Sechs-Megawatt-Brennstoffzellenanlage antreiben, die emissionsfreien Strom fĂŒr den Hotelbetrieb erzeugt und es den Schiffen ermöglicht, im Hafen bei abgeschalteten Motoren âNull-Emissionenâ zu produzieren.
NABU-Vertreter Diesener rĂ€umte ein, dass gerade deutsche Anbieter zukunftstaugliche Projekte vorwiesen. Diese hĂ€tten allerdings weiterhin Pilotcharakter und fĂ€nden nur auf wenigen neuen Schiffen Anwendung. Etwa 50 Prozent der deutschen Kreuzfahrtflotte wĂŒrden weiter auf hochschwefeliges Schweröl setzen, sagte er. Das sei der höchste Anteil aller Schifffahrtssektoren. âNur etwa 18 Prozent der Containerflotte setzt weiter auf klassisches Schwerölâ, so Diesener. Neue Kreuzfahrtschiffe wĂŒrden zwar mit âLNG dual fuel Motorenâ bestellt. WĂ€hrend damit die Luftschadstoffbilanz verbessert werden könne, sei aber eine Verbesserung der Treibhausgasbilanz technisch nicht möglich. Die reduzierten CO2 Emissionen wĂŒrden durch Methanemissionen ĂŒberkompensiert, so dass je nach Berechnung sogar eine verschlechterte Treibhausgasbilanz gegenĂŒber Marinediesel realisiert werde, sagte der Nabu-Vertreter.
Auf die schlechten Arbeitsbedingungen insbesondere fĂŒr auslĂ€ndische Mitarbeiter auf den Kreuzfahrtschiffen machte Susana Pereira-Ventura von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufmerksam. Sie hĂ€tten oft befristete VertrĂ€ge und seien ohne Arbeitsplatzsicherheit und praktisch ohne Sozialversicherungsschutz beschĂ€ftigt. WĂ€hrend der Corona-Krise seien sie gĂ€nzlich ohne UnterstĂŒtzung von Unternehmen oder staatlichen Beihilfen gewesen, so Pereira-Ventura. Ăber viele Jahre hinweg hĂ€tten die Reedereien ihre Verantwortung als Arbeitgeber an externe Personalvermittlungsagenturen mit Sitz auĂerhalb Deutschlands in LĂ€ndern wie Malta und Zypern delegiert, kritisierte die Verdi-Vertreterin. Dies habe zu einem Wettlauf nach unten gefĂŒhrt, âbei dem diese Unternehmen mitunter aktiv nach Möglichkeiten suchen, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, was direkt zum Sozialdumping in diesem Sektor beitrĂ€gtâ.