BGH zum RĂŒcktritt von vorgesehenen Pauschalreisen wegen Covid 19

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Urteile vom 30. August 2022 – X ZR 66/21 und X ZR 84/21  

Beschluss vom 30. August 2022 – X ZR 3/22  

Der unter anderem fĂŒr Pauschalreiserecht zustĂ€ndige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat ĂŒber AnsprĂŒche auf RĂŒckzahlung des Reisepreises nach RĂŒcktritt von PauschalreisevertrĂ€gen wegen Covid 19 entschieden.

Sachverhalt:

In den drei Verfahren nimmt die jeweilige Klagepartei die jeweilige Beklagte auf Erstattung der Anzahlung fĂŒr eine Pauschalreise in Anspruch, nachdem sie vor Antritt der Reise wegen der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurĂŒckgetreten ist.  

Im Verfahren X ZR 66/21 buchte die KlĂ€gerin im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. Juni 2020 zu einem Gesamtpreis von 1.599,84 Euro. Die KlĂ€gerin trat am 7. Juni 2020 von der Reise zurĂŒck und verlangte die RĂŒckzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 319,97 Euro. Die Beklagte berechnete weitere Stornokosten in Höhe von insgesamt 999,89 Euro (85 % des Reisepreises, unter Abzug einer Gutschrift). Die KlĂ€gerin bezahlte diesen Betrag nicht. Die Flusskreuzfahrt wurde mit einem angepassten Hygienekonzept und einer von 176 auf 100 verringerten Passagierzahl durchgefĂŒhrt.

Im Verfahren X ZR 84/21 buchte der KlĂ€ger im Februar 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca im Zeitraum vom 5. bis 17. Juli 2020 fĂŒr 3.541 Euro. Der KlĂ€ger trat am 3. Juni 2020 von der Reise zurĂŒck und verlangte die RĂŒckzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 886 Euro (25 % des Reisepreises) und belastete die Kreditkarte des KlĂ€gers um weitere 177 Euro. Das vom KlĂ€ger gebuchte Hotel war zum Zeitpunkt seines RĂŒcktritts und im Reisezeitraum geschlossen.  

Im Verfahren X ZR 3/22 buchte der KlĂ€ger eine Ostseekreuzfahrt im Zeitraum vom 22. bis 29. August 2020 fĂŒr 8.305,10 Euro. Der KlĂ€ger trat am 31. MĂ€rz 2020 von der Reise zurĂŒck und verlangte die RĂŒckzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro. Die Kreuzfahrt wurde von der Beklagten am 10. Juli 2020 abgesagt.  

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg.  

Im ersten Verfahren sind das Amtsgericht und das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, schon im Zeitpunkt der RĂŒcktrittserklĂ€rung sei aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung der Reise durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB hinreichend wahrscheinlich gewesen.  

Im zweiten Verfahren hat das Landgericht einen RĂŒckzahlungsanspruch bejaht, weil das vom KlĂ€ger gebuchte Hotel im fraglichen Zeitraum geschlossen war und schon dieser Umstand dazu fĂŒhre, dass der KlĂ€ger ohne EntschĂ€digungspflicht vom Vertrag habe zurĂŒcktreten können.

Im dritten Verfahren haben die Vorinstanzen offen gelassen, ob die Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB im Zeitpunkt des RĂŒcktritts vorlagen, und einen RĂŒckzahlungsanspruch schon aufgrund der spĂ€ter erfolgten Absage der Reise bejaht.  

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:  

In den drei Verfahren kam es zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Die BegrĂŒndetheit der Klagen hing in allen drei Verfahren davon ab, ob die jeweils beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch der jeweiligen Klagepartei auf RĂŒckzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf EntschĂ€digung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen EntschĂ€digungsanspruch sieht das Gesetz als regelmĂ€ĂŸige Folge fĂŒr den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurĂŒcktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer NĂ€he unvermeidbare, außergewöhnliche UmstĂ€nde auftreten, die die DurchfĂŒhrung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeintrĂ€chtigen.  

Eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn feststeht, dass die DurchfĂŒhrung der Reise nicht möglich ist oder zu einer erheblichen BeeintrĂ€chtigung der Gesundheit oder sonstiger RechtsgĂŒter des Reisenden fĂŒhren wĂŒrde. Sie kann vielmehr schon dann zu bejahen sein, wenn die DurchfĂŒhrung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen UmstĂ€nden mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf solche RechtsgĂŒter verbunden wĂ€re. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordert regelmĂ€ĂŸig eine Prognose aus der Sicht eines verstĂ€ndigen Durchschnittsreisenden.

Im ersten Verfahren blieb die Revision erfolglos.  

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Covid-19-Pandemie im Reisezeitraum (Sommer 2020) als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsĂ€tzlich geeignet war, die DurchfĂŒhrung der Pauschalreise erheblich zu beeintrĂ€chtigen. Eine Anwendung von § 651h Abs. 3 BGB ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Covid-19-Pandemie weltweit wirkte und dieselben oder vergleichbare BeeintrĂ€chtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort der Reisenden vorgelegen haben.  

Das Berufungsgericht ist im Rahmen seiner tatrichterlichen WĂŒrdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass im Zeitpunkt des RĂŒcktritts eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung der Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie hinreichend wahrscheinlich war. Diese WĂŒrdigung hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerfrei bewertet.  

Das Berufungsgericht hat eine unzumutbare GesundheitsgefĂ€hrdung der KlĂ€gerin insbesondere wegen der rĂ€umlichen VerhĂ€ltnisse an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffs, der nicht bestehenden Impfgelegenheit und der nicht vorhandenen Therapien gegen Covid 19 bejaht. Es hat dabei das Hygienekonzept der Beklagten und den Umstand, dass die im Zeitpunkt des RĂŒcktritts bestehende Reisewarnung befristet war und noch vor Beginn der Reise ablief, berĂŒcksichtigt. ZulĂ€ssigerweise hat es auch auf das Alter der KlĂ€gerin Bezug genommen. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn erst solche UmstĂ€nde, die bei Vertragsschluss noch nicht absehbar waren, und die daraus resultierenden Risiken dazu fĂŒhren, dass die Reisende zu einer Personengruppe gehört, fĂŒr die die Reise mit besonderen Gefahren verbunden ist. Nach den UmstĂ€nden bei Vertragsschluss hĂ€tte das Alter der KlĂ€gerin einer Teilnahme an der Reise nicht entgegengestanden – erst die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken haben den Charakter der Reise verĂ€ndert.

Im zweiten Verfahren fĂŒhrte die Revision zur Aufhebung und ZurĂŒckverweisung der Sache an das Berufungsgericht.  

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Vortrag des KlĂ€gers zu der durch Unsicherheit und UnwĂ€gbarkeiten geprĂ€gten pandemischen Lage in Europa ab FrĂŒhjahr 2020 und zu allgemeinen Maßnahmen zur Herabsetzung der Infektionswahrscheinlichkeit sowie die Bezugnahme auf ein fĂŒr den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erstelltes Gutachten nicht den Schluss auf eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung zulassen, weil daraus nicht hervorgeht, welche konkreten Infektionsrisiken im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2020) auf Mallorca bestanden.  

Eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ergibt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht daraus, dass das vom KlĂ€ger gebuchte Hotel im Reisezeitraum geschlossen war. Zwar kann die Unterbringung in einem anderen als dem gebuchten Hotel trotz Zuweisung einer gleichwertigen Ersatzunterkunft am gleichen Ort einen zur Minderung berechtigenden Reisemangel darstellen. Ein zur Minderung berechtigender Reisemangel begrĂŒndet aber nicht ohne weiteres eine erhebliche BeeintrĂ€chtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB. Ob eine solche BeeintrĂ€chtigung gegeben ist, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der BeeintrĂ€chtigung orientierten GesamtwĂŒrdigung zu beurteilen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine solche WĂŒrdigung auch dann erforderlich, wenn der Reisende in einem anderen Hotel untergebracht werden soll. Die danach erforderliche GesamtwĂŒrdigung hat das Landgericht im Streitfall unterlassen. Der Senat kann diese im Wesentlichen dem Tatrichter ĂŒberlassene WĂŒrdigung nicht selbst vornehmen.  

Das dritte Verfahren hat der Bundesgerichtshof entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der EuropĂ€ischen Union in dem dort anhĂ€ngigen Verfahren C-477/22 (X ZR 53/21, Pressemitteilungen Nr. 085/2022 und Nr. 118/2022) ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hĂ€ngt von der Beantwortung der dem Gerichtshof der EuropĂ€ischen Union bereits vorliegenden Frage ab.  

Vorinstanzen:

X ZR 66/21:  

Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt – Urteil vom 20. November 2020 – 12 C 1596/20

Landgericht Stuttgart – Urteil vom 22. Juli 2021 – 5 S 217/20

X ZR 84/21:  

Amtsgericht DĂŒsseldorf – Urteil vom 7. Januar 2021 – 27 C 37/20

Landgericht DĂŒsseldorf – Urteil vom 6. September 2021 – 32 S 31/21

X ZR 3/22:  

Amtsgericht Hersbruck – Urteil vom 21. Mai 2021 – 1 C 804/20

Landgericht NĂŒrnberg-FĂŒrth – Urteil vom 17. Dezember 2021 – 5 S 3127/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 651h BGB RĂŒcktritt vor Reisebeginn

(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurĂŒcktreten. Tritt der Reisende vom Vertrag zurĂŒck, verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine angemessene EntschĂ€digung verlangen.

(2) 


(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine EntschĂ€digung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer NĂ€he unvermeidbare, außergewöhnliche UmstĂ€nde auftreten, die die DurchfĂŒhrung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeintrĂ€chtigen. UmstĂ€nde sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hĂ€tten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wĂ€ren.

§ 148 ZPO

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines RechtsverhÀltnisses abhÀngt, das den Gegenstand eines anderen anhÀngigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhÀngt, die den Gegenstand eines anhÀngigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des KlÀgers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

Karlsruhe, den 30. August 2022