Der BGH hat sich erneut mit Fragen betreffend den Nacherfüllungsanspruch eines Käufers eines aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangelhaften Neufahrzeugs beschäftigt und seine diesbezügliche Rechtsprechung weiterentwickelt.
Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Juni 2015 von der beklagten Fahrzeughändlerin im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs zum Preis von 19.910 € ein mit einem Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug Volkswagen Caddy III, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, teilte der Fahrzeughersteller dem Kläger im Dezember 2016 mit, dass für sein Fahrzeug nunmehr ein zur Beseitigung der Abschalteinrichtung entwickeltes und vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenes Software-Update zur Verfügung stehe. Der Kläger lehnte das Aufspielen des Updates ab und verlangte stattdessen im Mai 2017 von der Beklagten die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs des Nachfolgemodells Volkswagen Caddy IV. Die Beklagte verweigerte eine Nachlieferung unter anderem mit der Begründung, dass deren Kosten im Vergleich zu dem Aufwand einer Nachbesserung durch das Software-Update unverhältnismäßig seien.
Bisheriger Prozessverlauf:
In den Vorinstanzen hat der Kläger mit seinem auf Lieferung eines fabrikneuen, typengleichen Ersatzfahrzeugs gerichteten Begehren keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte die Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung; nunmehr § 439 Abs. 4 BGB) verweigern dürfen, weil für die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs in Gestalt des zwischenzeitlich auf den Markt getretenen Nachfolgemodells Volkswagen Caddy IV nach Angaben der Beklagten nunmehr Beschaffungskosten von 27.536,60 € anfielen, so dass die Kosten einer solchen Ersatzlieferung (auch nach Abzug des Wertes des vom Kläger zurückzugebenden ursprünglich erworbenen Fahrzeugs) die Kosten für die Umrüstung durch das Software-Update von maximal 100 € um mehr als das 117-fache überschritten und damit unverhältnismäßig seien (sogenannte relative Unverhältnismäßigkeit). Soweit der Kläger demgegenüber eingewandt habe, eine Nachbesserung durch das vom Hersteller entwickelte Update scheide von vornherein aus, weil es zur Installation einer anderen Abschalteinrichtung („Thermofenster“), zu Folgeschäden (Leistungsverlust, höherer Kraftstoffverbrauch u.a.) und zu einem merkantilen Minderwert des Fahrzeugs führte, seien seine Behauptungen ohne Substanz.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Käufer eines (hier aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte die Ersatzlieferung eines nunmehr hergestellten Nachfolgemodells nur gegen eine angemessene Zuzahlung verlangen kann, wenn dieses einen erheblichen Mehrwert gegenüber dem ursprünglich erworbenen Fahrzeug aufweist. Weiter hat der Senat klargestellt, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Unverhältnismäßigkeitseinrede des Verkäufers nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung), der den Käufer auf eine kostengünstigere Nachbesserung verweisen will, grundsätzlich den Verkäufer trifft.
Der Senat hat zunächst seine Urteile vom 21. Juli 2021 (VIII ZR 254/20 et al. – Pressemitteilung Nr. 140/2021) bestätigt, wonach eine vom Käufer eines mangelhaften Neuwagens geforderte Ersatzlieferung gemäß § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht bereits deshalb unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB) und damit ausgeschlossen ist, weil anstelle des ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodells zwischenzeitlich ein Nachfolgemodell auf den Markt getreten ist. Vielmehr erstreckt sich die sog. Beschaffungspflicht des Verkäufers in einem solchen Fall – bei beiderseits interessengerechter Auslegung der auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärungen – auch auf ein neuwertiges Nachfolgemodell, solange der Käufer seinen Nachlieferungsanspruch – wie vorliegend geschehen – innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsabschluss gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht hat.
Soweit in einem solchen Fall das betreffende Nachfolgemodell allerdings – was der Verkäufer darzulegen und ggfs. zu beweisen hat – einen erheblichen Mehrwert gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell aufweist, der eine Erhöhung des Listenpreises um ein Viertel oder mehr voraussetzt, ist weiter zu prüfen, ob nach dem nach beiden Seiten interessengerecht auszulegenden Parteiwillen die Ersatzlieferung eines solchen Nachfolgemodells nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Käufers als austauschbar anzusehen ist. Liegt die Differenz der Listenpreise unter diesem Wert, scheidet eine Obliegenheit des Käufers zu einer Zuzahlung aus. Ist die genannte Grenze erreicht, ist bezüglich einer Zuzahlung des Käufers zu beachten, dass sie weder dessen Nacherfüllungsanspruch aushöhlen darf noch den Verkäufer von jeglicher mit der Nacherfüllung einhergehenden wirtschaftlichen Belastung befreien soll. Daher hat der Käufer die einen erheblichen Mehrwert begründende Differenz zwischen den Listenpreisen nicht vollständig, sondern in der Regel lediglich in Höhe eines Drittels (in Ausnahmefällen bis zur Hälfte) auszugleichen. Falls der Käufer zu einer hiernach angemessenen – im jeweiligen Einzelfall vom Tatrichter nach freiem Schätzungsermessen zu bestimmenden – Zuzahlung nicht bereit sein sollte, entfällt die das Nachfolgemodell erfassende Beschaffungspflicht des Verkäufers und damit auch ein hierauf gerichteter Nachlieferungsanspruch des Käufers. Etwaige weitere Gewährleistungsansprüche des Käufers bleiben hiervon allerdings unberührt.
Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass das vom Kläger im Rahmen seines Nachlieferungsbegehrens beanspruchte Modell der vierten Fahrzeuggeneration des VW Caddy gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell der dritten Generation einen erheblichen Mehrwert aufweist und nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen ein entsprechender Nachlieferungsanspruch deshalb nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Klägers in Betracht kommen könnte. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedarf es allerdings zunächst einer Feststellung der zu vergleichenden Listenpreise durch das Berufungsgericht.
Auf die von der Beklagten erhobene Einrede der relativen Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB (alte Fassung) kommt es nur an, wenn nach den aufgezeigten Grundsätzen eine Beschaffungspflicht der Beklagten hinsichtlich des Nachfolgemodells besteht. Bezüglich dieser Einrede hat der Senat klargestellt, dass der Verkäufer eine vom Käufer verlangte Nachlieferung wegen im Vergleich zur Nachbesserung unverhältnismäßiger Kosten nur dann verweigern kann, wenn der betreffende Mangel durch die von ihm angebotene Nachbesserung vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt würde. Daran fehlt es aber, falls zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt wird, hierdurch jedoch Folgemängel hervorgerufen werden. Insofern ist zu beachten, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Verkäufer für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm erhobenen Unverhältnismäßigkeitseinrede darlegungs- und beweisbelastet ist.
Vorliegend ist zwar nicht streitig, dass das dem Kläger angebotene Software-Update die Prüfstanderkennungssoftware entfernen und damit den bei Übergabe vorhandenen Sachmangel beseitigen würde. Allerdings hat der Kläger im Rahmen seiner insoweit lediglich sekundären Darlegungslast hinreichend konkret auf – seiner Auffassung nach – durch das Update verursachte Folgemängel und einen unabhängig hiervon am Fahrzeug infolge der Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal verbleibenden merkantilen Minderwert verwiesen. Insbesondere durfte sich der Kläger dabei auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Funktionsweise des Software-Updates keine genaue Kenntnis von dessen konkreten Auswirkungen haben. Ausgehend von der primären Darlegungslast und der Beweislast der Beklagten im Rahmen der von ihr erhobenen Unverhältnismäßigkeitseinrede ist es deshalb – was das Berufungsgericht verkannt hat – ihre Aufgabe, diese vom Kläger hinreichend konkret behaupteten Umstände, gegebenenfalls unter Einholung von zu diesem Zweck angebotener Sachverständigengutachten, auszuräumen. Dies gilt nicht zuletzt für die Behauptung des Klägers, mit dem Software-Update werde erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster) implementiert, der die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts entgegenhält, dieses Vorgehen sei zum Schutz von Bauteilen erforderlich.
Nach alledem hat der Senat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.
Vorinstanzen:
LG Braunschweig – 11 O 1170/17 (252) – Urteil vom 14. Mai 2018
OLG Braunschweig – 7 U 289/18 – Urteil vom 13. Juni 2019
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 223/2021 v. 08.12.2021