Begleitend zum Film „Der vermessene Mensch“ ordnet die Doku die Ereignisse im ehemaligen Deutsch-SĂŒdwestafrika historisch ein und zeigt die Opferseite des deutschen Völkermords an den Herero und Nama.
Deutsche Truppen begingen in der afrikanischen Kolonie vor 120 Jahren den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts: Etwa 80.000 Herero verloren ihr Leben, nur 15.000 ĂŒberlebten. Von den Nama starb jeder zweite, insgesamt 10.000 Menschen.
Deutsche Kolonialgeschichte
In der Dokumentation von Jörg MĂŒllner kommen Herero und Nama zu Wort und erzĂ€hlen aus ihrer Perspektive von den Verbrechen der deutschen Kolonialherren in Deutsch-SĂŒdwestafrika, heute Namibia. Eine Zeitreise im Zeichen einer schwierigen Aufarbeitung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die gebĂŒrtige Namibierin Ngutjiua Hijanguru-Kutako ist eine Herero und stammt aus einer Familie, in der die Erinnerung an den Genozid – wie in vielen anderen Herero-Familien auch – bis heute prĂ€sent ist. Sie promoviert in Jura an der Goethe-UniversitĂ€t Frankfurt. Als eine der Protagonisten erzĂ€hlt sie in der Dokumentation vom Schicksal ihrer Vorfahren und reist zu den Orten des Verbrechens, etwa nach Swakopmund, wo sich eines der gröĂten MassengrĂ€ber der Kolonialgeschichte befindet.
Sechs sogenannte Konzentrationslager lieĂ die deutsche Kolonialmacht errichten. Besonders hoch war die Sterberate auf der berĂŒchtigten Haifischinsel in LĂŒderitz, auch Todesinsel genannt, wo sich von 1905 – 1907 das erste deutsche Konzentrationslager der Geschichte befand. Bis zu 3000 Menschen starben hier durch Zwangsarbeit, Krankheiten und MangelernĂ€hrung. Gemeinsam mit Sima Luipert, einer Nama – auch sie Nachfahrin von Opfern – gedenkt Ngutjiua Hijanguru-Kutako der Toten auf einer Insel, die heute als Campingplatz genutzt wird.
Rassistisch geprÀgte Wissenschaft
Forschungsreisende wie der Jenaer Zoologe Leonhard Schultze brachten damals Körperteile, Skelette und SchĂ€del von Menschen aus der Kolonie nach Deutschland im Dienst einer rassistisch geprĂ€gten Wissenschaft. 2011 gab die Berliner CharitĂ© die sterblichen Ăberreste von 20 Menschen an Namibia zurĂŒck, 18 davon waren Gefangene auf der Haifischinsel gewesen. Weitere RĂŒckgaben folgten 2014 und 2018.
Noch immer aber befinden sich SchĂ€del und Skelette von Angehörigen der Herero und Nama in privaten und öffentlichen Sammlungen im deutschsprachigen Raum, ebenso kulturelle GegenstĂ€nde, die in der Kolonialzeit nach Deutschland kamen. Dazu gehört auch eine kleine Stoffpuppe, von einem Herero-MĂ€dchen handgenĂ€ht – ein aussagekrĂ€ftiges Dokument der Kolonialzeit. Jahrzehntelang war die Puppe im Depot des Ethnologischen Museums in Berlin vergessen, bis sie 2019 bei einem namibisch-deutschen Forschungs- und Restitutionsprojekt entdeckt und mit weiteren cultural belongings an Namibia zurĂŒckgegeben wurde.
Völkermord an den Herero und Nama
Die Bundesrepublik hat den Völkermord spĂ€t und nur insofern anerkannt, dass daraus kein rechtlicher Anspruch auf eine EntschĂ€digung erwĂ€chst. In einer gemeinsamen ErklĂ€rung mit der namibischen Regierung bezeichnete die Bundesregierung die GrĂ€ueltaten wĂ€hrend der Kolonialkriege „aus heutiger Sicht“ als Völkermord und stellte neben einer offiziellen Entschuldigung lediglich in Aussicht, 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe zu zahlen, um so alle finanziellen AnsprĂŒche abschlieĂend zu regeln. Vertreter der Herero und Nama lehnen die „gemeinsame ErklĂ€rung“ ab und klagen dagegen, da nur mit der Regierung Namibias, nicht aber mit ihnen verhandelt worden sei.
Prof. Mutjinde Katjiua, Paramount-Chief der Herero, erklĂ€rt im Film, wie schwierig die gemeinsame Erinnerung unter den Nachfahren ist und was aus Sicht seines Volkes geschehen muss, damit die Wunden der Geschichte 120 Jahre nach dem Völkermord heilen können. Es gehe nicht allein um Schadensersatz, seinem Volk sei alles genommen worden: die Kultur, die Viehherden, das Land, auf dem die Herero seit Jahrtausenden lebten – lange bevor die deutsche Kolonialmacht kam.
Video verfĂŒgbar bis 05.10.2029