FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai (Foto) gab „n-tv.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Volker Petersen:
Frage: Herr Djir-Sarai, wir treffen uns während der verspäteten Haushaltswoche. Sind Sie einfach nur froh, wenn dieser Haushalt endlich verabschiedet wird?
Djir-Sarai: Ich bin tatsächlich froh, dass eine Einigung unter Einhaltung der Schuldenbremse erzielt wurde. Ich sehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nach wie vor als eine Bestätigung der Notwendigkeit einer soliden Finanzpolitik. Das ist eine Chance und wird auch für die nächsten Bundeshaushalte Folgen haben.
Frage: Hätten Sie, rückblickend betrachtet, lieber doch nicht die Beihilfe für den Agrardiesel gestrichen?
Djir-Sarai: Nein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat in seiner Deutlichkeit die Mehrheit der politischen Akteure überrascht. Für uns als FDP bedeutet dieses Urteil, die Schuldenbremse zu stärken. Nicht sie zu schleifen oder gar zu umgehen, sondern sie zu stärken. Wir haben noch immer eine hohe Inflation im Euroraum. Wir zahlen viel höhere Zinsen als in früheren Jahren. Wer in dieser Situation auf Schuldenpolitik setzt, macht einen großen Fehler.
Frage: Gerade haben die Wirtschaftsweisen, also der Sachverständigenrat der Bundesregierung, gemeinsam gefordert, die Schuldenbremse zu lockern. Macht Sie das gar nicht nachdenklich?
Djir-Sarai: Ich nehme diese Debatten, die es im Übrigen auch in der Union gibt, zur Kenntnis. Die Ministerpräsidenten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder auch der Regierende Bürgermeister Berlins wollen die Schuldenbremse aufweichen. Offensichtlich steht die FDP mit ihrem glasklaren Bekenntnis zur Schuldenbremse allein da. Die Schuldenbremse ist kein Selbstzweck. Sie verhindert, dass kommende Generationen überlastet werden und sorgt dafür, dass unser Wohlstand gewahrt bleibt.
Frage: Aber wenn die Wirtschaftsweisen das jetzt sagen. Die sind ja nicht irgendwer. Das Gremium ist auch bewusst nach politischer Ausrichtung ausgewogen besetzt.
Djir-Sarai: Trotzdem bleibe ich dabei. Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem. Die Ausgaben sind das Problem. Da müssen wir ran. Solide Finanzpolitik bedeutet in erster Linie Respekt vor der Leistung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Würde man in der gegenwärtigen Lage eine Schuldenpolitik machen, wäre das ein großer Schaden für den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland.
Frage: Aber eine Investitionspolitik wäre vielleicht auch ein Nutzen für den Standort.
Djir-Sarai: Aber die haben wir, es wird ja investiert. Die Investitionen liegen sogar auf Rekordniveau. Das zeigt: Zukunftsinvestitionen und Entlastungen für Menschen und Betriebe sind unter Einhaltung der Schuldenbremse möglich. Sollten jetzt trotzdem weitere Schulden angehäuft werden, müssten wir immer mehr Steuergeld für die Zinszahlungen aufwenden. Deutschland ist aber bereits ein Hochsteuerland. Und es gibt ja Spielräume für Einsparungen. Nehmen Sie das Bürgergeld, das jetzt im Schnitt um 12 Prozent erhöht wurde. Diese deutliche Erhöhung müssen wir kritisch hinterfragen. Ich erwarte, dass es im nächsten Jahr eine Nullrunde beim Bürgergeld gibt.
Frage: Die Steigerung war nach einem Mechanismus im System so angelegt. Das hatte mit der hohen Inflation zu tun. Es ging darum, das Existenzminimum zu gewährleisten.
Djir-Sarai: Die Berechnungsmethode muss diskutiert werden, damit die Inflationsentwicklung nicht überschätzt wird, wie es jetzt der Fall war. Aber die viel spannendere Frage ist doch die der sozialen Gerechtigkeit. Wird das Lohnabstandsgebot eingehalten, ja oder nein? Für uns als FDP ist ganz klar: Wer arbeitet, muss deutlich mehr haben, als jemand der nicht arbeitet. Dieser Unterschied muss im Geldbeutel spürbar sein.
Frage: Sie haben das Bürgergeld doch selbst mitgestaltet. Also kritisieren Sie sich gerade selbst?
Djir-Sarai: Die Union hat das Bürgergeld über den Bundesrat auch mitgestaltet und beschlossen und übt jetzt Kritik. Wir reden im Moment über Schwachstellen des Systems. Das muss ja möglich sein. Ebenso wie es möglich sein muss, diese Schwachstellen zu korrigieren. Das haben wir beispielsweise bei den Sanktionen für Totalverweigerer getan.
Frage: Sehen Sie denn jetzt das Lohnabstandsgebot als erfüllt an oder nicht?
Djir-Sarai: Ich bekomme sehr viele Rückmeldungen von Menschen, die mir konkrete Beispiele aus ihrem Alltag nennen. Da sind gewisse Gerechtigkeitslücken erkennbar. Bei Missbrauch oder Fehlanreizen muss das System korrigiert werden. Das ist ganz klar.
Frage: Schuldenbremse und Lohnabstandsgebot sind Klassiker des ampelinternen Streits. Gerade wird auch über das Kindergeld und den Kinderfreibetrag debattiert. Wollten Sie es nicht im neuen Jahr ganz anders machen?
Djir-Sarai: Die Frage müssen Sie nicht mir stellen.
Frage: Aber die FDP hat mit den Kinderfreibeträgen angefangen und dann hat die SPD gesagt, dann müsse auch das Kindergeld steigen.
Djir-Sarai: Falsch. Das Kindergeld wurde doch schon erhöht. Wir haben die Erhöhung sogar zum 1.1.2023 vorgezogen. Die Kinderfreibeträge hingegen wurden noch nicht angepasst. Das holen wir nun nach. Dieses Vorgehen ist innerhalb der Koalition so verabredet, insbesondere mit Bundeskanzler Scholz, der offenkundig ja auch in der SPD ist. Daher ist es umso befremdlicher, dass Herr Klingbeil oder Herr Mützenich den verabredeten Fahrplan jetzt in Frage stellen.
Frage: Im Trendbarometer von RTL/ntv steht die FDP jetzt bei drei Prozent. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?
Djir-Sarai: Nein. Diese Werte sind keine völlig neue Situation für meine Partei. Wir kennen das aus beinahe jeder Wahlperiode. Zur Mitte der Wahlperiode war die FDP meiner Erinnerung nach fast immer unter fünf Prozent. Trotzdem: Wir müssen da raus und wir werden da auch rauskommen. Entscheidend ist der Zustand des Landes und welche Zukunftsperspektiven wir anbieten.
Frage: Sie haben am Wochenende mit dem Europaparteitag den Wahlkampf für die Europawahl am 9. Juni eingeleitet. Diesmal haben Sie mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine prominente Spitzenkandidatin. Sind die Zeiten vorbei, in denen man den Europawahlkampf eher so nebenbei macht?
Djir-Sarai: Es war früher leider weit verbreitet, dass die Europawahl nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Es war daher immer schwierig, die Menschen zu mobilisieren. Jetzt aber haben wir eine Situation, in der wir mit immensen Herausforderungen in Europa konfrontiert sind: die wirtschaftliche Entwicklung, die Inflation, Migration. Vor allem aber werden die Werte der Europäischen Union infrage gestellt. Es gibt Kräfte von innen und außen, die Europa schaden oder gar zerstören wollen. Daher sind jetzt alle pro-europäischen Parteien und in erster Linie auch die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Wir müssen Europa den Rücken stärken.
Frage: Sie üben aber auch Kritik, zum Beispiel an der Bürokratisierung. Machen Sie das auch, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Djir-Sarai: Klar ist: Wer will, dass Europa geschwächt wird oder dass Deutschland die EU verlässt, der schadet unserem Land massiv. Wir als FDP sind stolz auf Europa, und genau deshalb wollen wir es auch verbessern. Die Megathemen der Zeit kann man nur europäisch lösen.
Frage: Wird Migration das Top-Thema sein?
Djir-Sarai: Eines der Themen, ja. Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hat die EU bereits einen wichtigen Schritt gemacht. Das allein reicht aber noch nicht.
Frage: Dabei geht es unter anderem darum, Asylverfahren schon an den Außengrenzen durchzuführen. Aber das ist noch gar nicht in Kraft. Kommt das zu spät für diese Wahl?
Djir-Sarai: Die Menschen müssen sehen, dass in Europa endlich etwas in Bewegung kommt. Wir haben jetzt etwas geschafft, was der Vorgängerregierung nicht gelungen ist: eine Einigung beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, die mehr Steuerung, Kontrolle und Begrenzung ermöglicht. Diesen Erfolg müssen die Menschen nun auch in den Städten und Kommunen vor Ort spüren. Wenn die Politik konkrete Probleme löst, haben Populisten keine Chance.
Frage: Migration ist aber nicht nur ein Problem, sondern auch eine Chance für alle. Beim Dreikönigstreffen der FDP am 6. Januar haben Sie gefordert, man solle Kindern eine inländische und deutsche Identität geben. Warum ist das wichtig?
Djir-Sarai: Als meine Familie aus dem Iran fliehen musste, wurde sie auf der ganzen Welt verstreut. Von meinen Verwandten sagt heute keiner: „Ich bin Kanadier mit Migrationshintergrund oder ich bin Amerikaner mit iranischen Wurzeln“. Die sagen ganz klar: „Ich bin Kanadier“ oder „Ich bin Amerikaner“. Menschen mit Migrationshintergrund sollten auch in Deutschland voller Stolz sagen können: „Ich bin Deutsche oder Deutscher“. Wir sollten als Gesellschaft nicht zulassen, dass Kinder mit einem ausländischen Bewusstsein aufwachsen. Dabei ist ganz zentral, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich mit unserem Land und unseren Werten identifizieren. Das ist im Übrigen auch die Voraussetzung für erfolgreiche Integration.
Frage: Wie finden Sie die Einbürgerung in Deutschland? Oft wird einem einfach nur der Pass hingeschoben und das war es dann. Wünschen Sie sich da mehr Zeremoniell?
Djir-Sarai: Definitiv. Das war bei mir übrigens auch so. Ich war 19 und hatte mir sogar extra einen Anzug gekauft, weil ich mit einer Feier gerechnet habe, so wie ich es in amerikanischen Filmen gesehen hatte. Ich bekam aber nur eine Urkunde und ein Grundgesetz in die Hand gedrückt und sollte dann an Kasse soundso die Verwaltungsgebühr bezahlen. Das war enttäuschend. Die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, ist etwas ganz Besonderes. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Bei der Einbürgerung sollte ganz klar sein, dass man Teil einer Gesellschaft wird. Da lassen wir derzeit viel liegen, um Menschen emotional zu binden.
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