Doku: Angst vor Krieg – Die Deutschen in der Zeitenwende (Das Erste 20:15 – 21:00 Uhr)

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Die Journalistin und frĂŒhere ARD-Talkshow-Moderatorin Anne Will kehrt ins Fernsehen zurĂŒck – und beschĂ€ftigt sich in ihrer ersten ARD-Dokumentation mit einer Frage, die aktueller nicht sein könnte: die Frage nach Krieg und Frieden. Ist die Angst vor Krieg wieder da? Wie gut wĂ€ren wir Deutschen auf einen Krieg vorbereitet? Und was muss getan werden, damit es nicht dazu kommt?

Über viele Jahre hat Anne Will in ihrer Sendung Politik aus nĂ€chster NĂ€he erlebt und die Verantwortlichen befragt. Eines aber traf sie, genau wie die meisten BĂŒrgerinnen und BĂŒrger in Deutschland, dennoch unerwartet: die Wucht und Dringlichkeit, mit der die Frage von Krieg und Frieden nach Europa, nach Deutschland zurĂŒckgekehrt ist.

„Ich hatte mir nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht vorstellen können, dass wir wieder Kriegsangst haben mĂŒssen“, sagt Anne Will. „Dass unser Land plötzlich kriegstĂŒchtig und nicht mehr nur verteidigungsfĂ€hig sein soll.“

Will fragt sich, was das genau bedeutet. Wie kann sich Deutschland auf Undenkbares vorbereiten? Und wie ist der Stand beim MilitĂ€r, beim Zivilschutz in einem Moment, in dem sich die Lage spĂ€testens seit der AmtsĂŒbernahme Donald Trumps im Wochentakt zu verĂ€ndern, zuzuspitzen scheint?

Um das zu verstehen, reist Will durch Deutschland und Europa. Eine Reise, auf der sie zum Beispiel den 16-JĂ€hrigen Theo kennenlernt, der in seiner Freizeit Orgel spielt, aber nun entschlossen ist, zur Bundeswehr zu gehen. Wie so viele Jugendliche. Rund 11 Prozent der neu eingestellten Soldaten und Soldatinnen waren zuletzt unter 18. Ein Rekord und vermutlich auch ein Ergebnis der intensiven Werbemaßnahmen der Bundeswehr bei Social Media, die viele kritisch sehen.

Bei einem Schnuppercamp der Truppe am MarinestĂŒtzpunkt in Kiel sagt Theo: „Ich bin mir der Risiken bewusst. Aber trotzdem bin ich bereit, Soldat zu werden. Man kann nicht immer nur hoffen, dass es Andere machen.“ Seine Mutter beschreibt bei einem GesprĂ€ch am heimischen KĂŒchentisch mit Anne Will, wie die Familie mit Theos Entscheidung gerungen habe. Sie sagt: „NatĂŒrlich habe ich Angst. Aber ich versuche, mich nicht durch Ängste leiten zu lassen. Ich hoffe natĂŒrlich, dass Theo nie in eine bedrohliche Situation kommt. Ich hoffe, dass wir als Land nicht in so eine Situation kommen. Aber leider ist die RealitĂ€t ja so, dass die Bedrohungslage sich wieder gewendet hat, im Vergleich zu 1989.“

Will trifft einen Mann, der mit der Kriegsangst gerade gutes Geld verdient, den Bunkerunternehmer Mario Piedje und seine Firma „Bunker Schutzraum Systeme Deutschland“. Seine Kunden seien zahlreicher geworden, sagt er. Und sie hĂ€tten sich verĂ€ndert: „Vor fĂŒnf oder zehn Jahren war das mehr so ein MĂ€nnerspielzeug. Heute sind 70 Prozent der Kunden Frauen. Die sagen: Mir geht es um den Schutz der Familie vor kriegerischen Auseinandersetzungen.“

In der Dokumentation fĂŒhrt Piedje durch einen großen Schutzbunker in Hamburg, den er gerade gemeinsam mit einem Investor und Architekten aus Dubai umbaut. Die Wohnungen in diesem Bunker will er verkaufen – an Privatleute und Unternehmen, die sich das leisten können. Öffentliche SchutzrĂ€ume gibt es in Deutschland kaum. Nach Angaben des Bundesamtes fĂŒr Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat Deutschland noch 579 öffentliche Bunker mit Platz fĂŒr rund 0,5 Prozent der Bevölkerung. Einsatzbereit und funktionsfĂ€hig wĂ€ren davon, Stand jetzt: 0.

Wie gut wÀre Deutschland auf mögliche ErnstfÀlle vorbereitet? Mitarbeitende der Bundeswehr beklagen noch immer die mangelhafte Ausstattung. Munition, Luftverteidigung, einsatzfÀhige Panzer: Es fehle an vielem und die Aufgaben werden immer zahlreicher.

Dazu gehört auch der Aufbau der Brigade Litauen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr werden Soldaten dauerhaft in einem anderen Land stationiert. 5000 Soldatinnen und Soldaten sowie KrĂ€fte sollen es am Ende sein. Anne Will besucht die Kaserne in der NĂ€he der litauischen Stadt Kaunas. Auf dem matschigen KasernengelĂ€nde steht schweres GerĂ€t; auch der Panzer Leopard 2 ist dabei, den Panzerkommandant Raphael vorfĂŒhrt.

Im Interview mit Anne Will betont sein Chef, Brigadegeneral Christoph Huber: „Wir stehen dafĂŒr ein, dass jeder Zentimeter des NATO-BĂŒndnisgebietes verteidigt wird. Das nimmt die Bundeswehr sehr ernst. Wir mĂŒssen bereit sein, fĂŒr Frieden und Freiheit einzustehen. Und das schließt bei unseren Soldatinnen und Soldaten auch den Einsatz des eigenen Lebens mit ein.“

Will fragt auch: Übernimmt sich die Bundeswehr mit Aufgaben wie diesen? Geht der Einsatz dort zu Lasten der TruppenverbĂ€nde in Deutschland? Und, vor allem, reicht es noch, wenn die Brigade wie geplant bis zum Jahr 2027 vollstĂ€ndig einsatzfĂ€hig ist? Oder steht Deutschland gerade sicherheitspolitisch so sehr unter Druck, dass sich das Land viel schneller und entschlossener verĂ€ndern muss?

Auf der MĂŒnchener Sicherheitskonferenz beobachtet Anne Will, wie sich das, was wir ĂŒber Jahrzehnte selbstverstĂ€ndlich fanden, in beunruhigendem Tempo verschiebt: die Gewissheit, dass die USA als VerbĂŒndeter an unserer Seite stehen. Unions-Außenexperte Norbert Röttgen spricht im Interview von einem Abgrund, auf den Europa ohne den Schutz der USA zusteuere, wenn es nicht schnell in der Lage sei, sich selbst verteidigen zu können. Anne Will spricht mit Demonstranten vor der TĂŒr, die große Sorge haben, dass sich Deutschland, dass sich Europa in der Logik des Krieges und der AufrĂŒstung verlieren könnte. Er habe das GefĂŒhl, in einer Vorkriegszeit zu leben, sagt einer der Demonstranten.

Eine Sorge, die Anne Will immer wieder hört. Das Ehepaar Thomas Stanger und Lotte SalingrĂ© trieb die Angst vor Krieg zu einem ungewöhnlichen Schritt: Das Ehepaar hat dem BĂŒndnis Sahra Wagenknecht insgesamt fĂŒnf Millionen Euro gespendet. Ihre Hoffnung: Diese Partei möge die neue starke Stimme der alten Friedensbewegung sein. Wenn sie nicht alles dafĂŒr tun wĂŒrden, um die Eskalation durch AufrĂŒstung zu stoppen, könnten sie nicht mehr in den Spiegel schauen.

Die EindrĂŒcke, Fragen und Rechercheergebnisse ihrer Reise bespricht Anne Will mit dem Mann, der als erster verantwortlicher Politiker von der KriegstĂŒchtigkeit sprach: der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius. Pistorius sagt: „Unsere Angst vor Krieg ist ja gut, denn Krieg ist etwas Schlechtes. Ich will, dass wir Sorge haben, dass wir alles dafĂŒr tun, dass es keinen Krieg gibt. Aber das heißt eben nicht, dass man sich wie ein kleines Kind bei Gewitter die Decke ĂŒber den Kopf zieht und sagt, das wird schon irgendwie vorbeigehen, sondern dass man sich wappnet. Wenn in zehn Jahren meine Enkelkinder oder auch meine Töchter fragen: Habt ihr eigentlich damals alles gemacht, was möglich und notwendig gewesen ist, um uns zu schĂŒtzen? – Dann möchte ich sagen: Ja, haben wir. Wir haben alles auf den Weg gebracht.“ Dieses Ziel aber sei nur zu erreichen, wenn Deutschland auf Dauer mehr in die Bundeswehr investiere. Mehrmals steht Boris Pistorius Anne Will Rede und Antwort. Auch dann, als der amerikanische VizeprĂ€sident J.D. Vance auf der MĂŒnchner Sicherheitskonferenz mit Europa abrechnet.

Stehen die USA noch an der Seite von Deutschland, von Europa? Diese Frage wird wĂ€hrend der Dreharbeiten fĂŒr diesen Film immer dringlicher. Vor diesem Hintergrund ist der Besuch Anne Wills im litauischen Panemune besonders eindrĂŒcklich. In dem kleinen Dorf grenzt NATO-Gebiet an russisches Territorium. Der Ort liegt an der Memel, nur eine BrĂŒcke trennt Litauen von der Enklave Kaliningrad. Eine BrĂŒcke, die Litauen seit wenigen Monaten mit Panzersperren blockiert hat. Das Land hat angekĂŒndigt, sie im Ernstfall zu sprengen. Im Interview mit der litauischen Verteidigungsministerin erfĂ€hrt Will, wie es klingt, wenn die Kriegsangst sehr viel konkreter ist: „Russland bereitet sich fĂŒr die nĂ€chsten Schritte der imperialen Eroberung vor“, sagt diese. „Wir werden, wenn es nötig ist, jede mögliche Verbindung zu Russland blockieren oder in die Luft sprengen.“

Schon zu Beginn der Dreharbeiten war bei vielen Menschen die Angst vor Krieg greifbar – bei vielen ist sie Woche um Woche grĂ¶ĂŸer geworden. Viele ringen noch um die richtige Antwort auf die Gewissheit, dass Frieden und Sicherheit nicht mehr selbstverstĂ€ndlich sind. Die Zeitenwende ist lĂ€ngst mehr als ein Schlagwort fĂŒr Politikerinnen und Politiker. Sie ist im Alltag der Menschen angekommen.

Video verfĂŒgbar bis 07.04.2027 ∙ 20:15 Uhr