Essen (ots) – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant, dass alles Geld, welches nach dem „Terminservice- und Versorgungsgesetz“ seit 2020 zur Verbesserung der Akutversorgung von Notfall- und Neupatienten in den Arztpraxen investiert worden ist, den Arztpraxen wieder entzogen werden soll. Dabei hatte Lauterbach selbst als Teil der großen Koalition diese Investition dem damaligen Gesundheitsminister Spahn vorgeschlagen. Die Praxisarbeitszeiten wurden seinerzeit per Gesetz um 25 Prozent heraufgesetzt, die zusätzlichen Arbeitsleistungen extra bezahlt , die Patienten bekamen schnellere Termine. Nun also eine Rolle rückwärts, die einer Zechprellerei ähnelt. Denn die zusätzlichen Leistungen der Arztpraxen durch zusätzliche Sprechstundenzeiten sollen weiter verpflichtend bleiben, werden aber einfach nicht mehr bezahlt.
Gleichzeitig sind die jüngsten Honorarverhandlungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zur Festsetzung des allgemeinen Punktwertes und des „Globalbudgets“ für die ambulante Medizin im Folgejahr ergebnislos vertagt worden, die Krankenkassen bieten unverschämt eine Nullrunde an, die KBV fordert eine Punktwerterhöhung um 5,9 Prozent. „Wir haben es hier mit einer völligen Missachtung der ambulant tätigen Arztpraxen von Seiten der Politik und der Kassen zu tun“, kritisiert Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ), am Montag in Essen. „Die Haus -und Facharztpraxen behandeln mehr als 90 Prozent aller an Covid Erkrankten. Es wird von ihnen erwartet, im Herbst nicht nur eine verstärkte Impfkampagne gegen Virusgrippe und gegen Corona durchzuführen. Auch Termine sollen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. Aber eine Bezahlung dafür soll es nicht geben!“
Die Arztpraxen sind wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche von der hohen Inflation betroffen, die ausgeglichen werden muss. „Die gesetzlichen Krankenkassen hingegen machen keinerlei Anstalten, ihren überbordenden Verwaltungshaushalt oder ihre Vorstandsboni zu kürzen. Das passt alles nicht mehr zusammen“, so Dietrich. Nach seiner Prognose wird die Folge der politischen Ignoranz sein, dass sich Wartezeiten erheblich verlängern und Leistungen für gesetzlich Versicherte deutlich eingeschränkt werden müssen.
„Der Gipfel der Missachtung gegenüber den Arztpraxen drückt sich darin aus, dass gleichzeitig Versichertenbeiträge in Milliardenhöhe in ein ungeeignetes, unausgereiftes, ungetestetes und unsicheres Telematik-Projekt gesteckt werden. Der völlig überflüssige Tausch der Konnektoren mit Kosten von 400 Millionen Euro stellt nichts anderes als die Veruntreuung von Versichertengeldern dar“, ergänzt Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft und niedergelassene Allgemeinärztin in Hamburg. „Wir Ärzte sollen gezwungen werden, die Arbeitsabläufe in den Praxen für elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU), e-Rezept und Elektronische Patientenakte (ePA) umzugestalten, obgleich es keinerlei Notwendigkeit dafür gibt, ganz im Gegenteil. Alle Anwendungen rauben uns Zeit und Ressourcen und gefährden damit die Versorgungssicherheit.“
Die Freie Ärzteschaft fordert vor diesem Hintergrund:
- Den Stopp von Lauterbachs Gesetz zur Demontage der ambulanten Medizin.
- Einen Inflationsausgleich für alle Arztpraxen durch eine Punktwerterhöhung um neun Prozent, rückwirkend für 2022.
- Den Stopp der Verschwendung von 400 Millionen Euro Beitragsgeldern der GKV-Versicherten für einen nutzlosen und maßlos überteuerten Konnektorentausch.
- Den Stopp der Einführung von e-AU, e-Rezept und der unfreiwilligen elektronischen Patientenakte mit zentraler Datenspeicherung („OPT-OUT Lösung“).
„Zudem werden wir alle Möglichkeiten nutzen, unsere Patienten in den Wartezimmern ab sofort über diese gesundheitsschädliche Politik von Herrn Lauterbach aufzuklären. Wir rufen alle ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen auf, sich an den laufenden Unterschriftenaktionen und weiteren regionalen und bundesweiten Protestaktivitäten aktiv zu beteiligen“, so FÄ-Vorsitzender Dietrich.
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