84. Jahrestages der „Reichspogromnacht“ vom 9. November 1938
Schönebeck. Bereits seit dem 15. September 2022 findet die vom Salzlandkreis in Zusammenarbeit mit der Stadt Schönebeck (Elbe), dem Rückenwind e.V. Schönebeck, dem Julius-Schniewind-Haus e.V. und dem SCHALOM-Haus Schönebeck (Elbe), einer Gemeinde im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R., initiierte Veranstaltungsreihe zum Thema „Jüdisches Leben – damals und heute“ in Schönebeck (Elbe) statt.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Interkulturellen Woche 2022 im Salzlandkreis wurde am Mittwoch, 9. November 2022, mit der Gedenkveranstaltung „Gegen das Vergessen …“ am Holocaust-Mahnmal in der Nicolaistraße den Opfern der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten gedacht.
Am 9. November 1938 wurden die Synagoge in der heutigen Republikstraße demoliert und entweiht sowie zahlreiche jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet. Menschen jüdischer Herkunft wurden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. 43 Schönebecker Juden wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ermordet.
In Zusammenarbeit mit den hiesigen Sekundarschulen „Maxim Gorki“ und „Am Lerchenfeld“, der Förderschule „J.-H. Pestalozzi“ und dem „Dr. Carl Hermann“ Gymnasium und musikalisch begleitet vom Posaunen-Quartett „Bela-Brass“ unter der Leitung von Ronald Ziem führte Johannes Golling, 1. Vorsitzender des Julius-Schniewind-Hauses e.V., durch die Gedenkveranstaltung. Zudem berichtete Afke Berger, Doktorandin am Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Erforschung der Geschichte von Weltkriegen, Massengewalt und Völkermorden in Amsterdam/Niederlande, über die Lebensgeschichte einer in Auschwitz ermordeten 15-jährigen Jüdin aus Schönebeck.
Schönebecks Oberbürgermeister Bert Knoblauch zur Gedenkveranstaltung am Holocaust-Mahnmal:
„Dieses Mahnmal ist vor 24 Jahren entstanden, um der Ermordeten des Holocausts im Allgemeinen und der getöteten Schönebecker Juden im Besonderen zu gedenken.
Wir sind hier, um uns vor den Opfern der nationalsozialistischen Barbarei zu verneigen. Wir verneigen uns vor zahllosen Kindern, Frauen und Männern. Und wenn ich „zahllos“ sage, dann klingt dies zunächst nur mathematisch, anonym und das Unfassbare ist tatsächlich kaum fassbar, kaum greifbar.
Wer jedoch genauer hinsieht, dem gefriert angesichts der vielen Einzelschicksale das Blut in seinen Adern. Hinter der großen Zahl von Opfern verbergen sich einzelne Menschen mit ihren verschiedenen Gesichtern und mit ihren ganz persönlichen Gefühlen, Sehnsüchten, Ängsten und menschlichen Beziehungen, mit Träumen und Wünschen.
Und weil hinter jedem dieser vielen Schicksale ein einzelner Mensch steht, hat der Künstler Christof Grüger die konkreten Namen der 43 Schönebecker Opfer in diese Hände gebrannt.
Unser Gewissen und unser Verantwortungsgefühl zwingen uns, uns der schrecklichen Ereignisse vor 84 Jahren zu erinnern, sie zu vergegenwärtigen und die aus ihnen hervorgehende Mahnung zu vernehmen und sie zu verbreiten.
Aber warum ermüden wir nicht in dieser Erinnerungskultur? Warum tun wir dies Jahr für Jahr mit konsequenter Beharrlichkeit und niemals nachlassender innerer Bewegtheit? Warum halten wir am Erinnern, Gedenken und Mahnen fest? Weil die Ereignisse damals wie heute die Gesellschaft in Atem halten.
Wir erinnern aus tiefstem Respekt vor Opfern wie Ruth Lübschütz oder Anne Frank und all den anderen. Dieser Respekt ist weder teilbar noch relativierbar – noch hat er das Recht, mit den Jahren weniger zu werden und sich abzunutzen. Dieser Respekt gilt für immer.
Und wir müssen alles dafür tun, dass sich ein solches Menschheitsverbrechen wie das der Nazis niemals wiederholen darf. Fangen wir an zu vergessen oder zu verdrängen oder zu relativieren – ist das wie ein erster Schritt zurück in eine böse Zeit.
Die Geschehnisse im November 1938, als die Synagoge in Schönebeck (Elbe) demoliert und entweiht sowie zahlreiche jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet wurden, forderten entschlossenes Entgegentreten und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Wir wollen, dass sich das Geschehene niemals wiederholt. Es ist für uns wichtig, das Verantwortungsgefühl für die Geschichte auf jene Generationen zu übertragen, die die Zeit des Hitlerfaschismus nur noch vom Erzählen oder Lesen her kennen.
Sehr verehrte Anwesende,
ich bin froh, dass es viele Menschen in Schönebeck gibt, denen dies bewusst ist. Ich bin froh, dass Sie heute hierhergekommen sind.
Damals wie heute ist die Gesellschaft, ist jeder einzelne Mensch dazu aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten, um in seiner Stadt, seinem Land, der Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, welch unfassbares Leid den Menschen jüdischer Herkunft und vielen anderen im Zweiten Weltkrieg angetan wurde. Es waren dunkle Zeiten, die nicht wiederkehren dürfen. Wir wollen gemeinsam einstehen für Humanismus, Weltoffenheit, Demokratie und ein buntes Schönebeck.
Alle, die sich gegen die neuen Anfänge, gegen das Vergessen wehren und engagieren, halten sich in einer unsichtbaren Menschenkette Tag für Tag und Hand in Hand. Sie alle sind miteinander verbunden und mitten in dieser langen Kette halten sie mit festem Druck auch die beiden Hände mit den eingegrabenen Namen der Opfer:
Die Hände des Holocaust-Mahnmals von Schönebeck.
Ich verneige mich vor den Opfern und lese und spreche: „Ich vergesse Dich nicht – siehe! In meine Hände habe ich Dich eingegraben.“
Bereits zum dritten Mal führt der Salzlandkreis gemeinsam mit zahlreichen Schönebecker Akteurinnen und Akteuren eine Veranstaltungswoche gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in Schönebeck (Elbe) durch, zu der alle interessierten Bürgerinnen und Bürger der Stadt und deren Gäste ganz herzlich eingeladen sind. Zu den vielfältigen Veranstaltungen gehören dabei die virtuellen Rundgänge durch das Anne-Frank-Haus in Amsterdam sowie das Konzentrationslager Majdanek, die Ausstellung „Mit eigenen Augen“- Auschwitz Impressionen“, der Gottesdienst in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schönebeck (Elbe) SCHALOM-Haus, der Vortrag „Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“, der Vortrag „Das Leben der Ruth Weile“ – Lebensgeschichte einer in Auschwitz ermordeten 15-jährigen Jüdin aus Schönebeck, die Filmvorführung „Meine Tochter Anne Frank“, die „Geschichte in Verbindung von Historie und Gegenwart“, das „Schalom-Singen“, die Eröffnung der Fotoausstellung „Mit eigenen Augen 2022“, die Präsentation der Fotoausstellung „Mit eigenen Augen 2022“, der Erfahrungsbericht zur Fotoausstellung „Mit eigenen Augen 2022“ und die Vernissage „Auschwitz – Unvergessen“.
Text/Foto: Stadt Schönebeck (Elbe) / Matthias Zander