Magdeburg. Thomas Lippmann (Foto), stellvertretender Fraktionsvorsitzender und bildungspolitischer Sprecher, hat heute im Landtag eine Änderung des Schulgesetzes vorgeschlagen:
„Im Rahmen unserer Online-Umfrage schrieb uns eine ehemalige Lehrerin: „Unsere Schulen stehen kurz vor dem Kollaps. Viele Jahrgänge verlassen mit ungenügendem Wissen die Schule. Es macht den Eindruck, als würde das Politik nicht interessieren.“ Diese Zitate aus mehreren Hundert Beiträgen, haben uns im Rahmen der Online-Umfrage erreicht. Wir hatten die Umfrage im Vorfeld der Einbringung dieser großen Schulgesetznovelle durchgeführt und die Ergebnisse decken sich mit denen der kurz zuvor von MDRfragt durchgeführten Befragung zur „Baustelle Bildung“. Auch dort wurde insbesondere unserm Land eine hohe Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Schulpolitik attestiert.
Wir stehen mit unserem Schulsystem an einem Scheideweg. Wir können nicht so weitermachen, wie bisher und das heißt, die Koalition und vor allem die CDU kann nicht so weitermachen wie bisher. Es ist also höchste Zeit für einen Schulgipfel, der seinen Namen verdient und für eine fraktionsübergreifende Verständigung hier im Parlament auf notwendige Reformen. Mit der großen Schulgesetznovelle legen wir heute dafür unsere Vorschläge auf den Tisch. Und ich appelliere dabei an die CDU und die Bildungsministerin, unser Angebot nicht so arrogant abzulehnen, wie es die ersten reflexartigen Pressereaktionen erwarten lassen.
Die Bildungsministerin hat angesichts der anhaltenden Talfahrt in unserem Schulsystem allen Grund, nicht alles, was von ihr und den Schulbehörden als Reaktion auf die Krise veranstaltet wird, für eine angemessene Lösung der Probleme zu halten. Ganz im Gegenteil sind die Maßnahmen offenbar unzureichend oder sie können die Probleme sogar verschärfen, wie das z.B. bei der Vorgriffstunde oder auch bei der neuen ergänzten Schullaufbahnberatung der Fall sein wird.
Es kann nicht dabei bleiben, dass wir den Schulen immer mehr Aufgaben übertragen und hohe Erwartungen an ihre Arbeit formulieren, ihnen aber eine verlässliche Grundlage verweigern, mit welchem Personal sie das eigentlich schaffen sollen. So, wie im Kinderfördergesetz für die Kindertageseinrichtungen, wollen wir endlich auch im Schulgesetz Mindestpersonalschlüssel festschreiben. Diese orientieren sich hinsichtlich der Lehrkräfte an der Personalausstattung, wie wir sie vor 10 Jahren im Schuljahr 2013/14 schon einmal hatten. Hinsichtlich der Schaffung multiprofessioneller Teams orientieren wir uns an den hierzu von uns im Landtag beschlossenen Konzepten und dem gewachsenen Bedarf. Diese Forderungen wurden bereits 2020 in einem Volksbegehren von mehr als 70.000 Bürger:innen unterstützt und hatte auch in unserer Umfrage mit 80 Prozent Zustimmung den dritthöchsten Wert.
Außerdem wollen wir die grundlegenden Vorgaben für die Bestandsfähigkeit und die Neugründung von Schulen hier im Parlament diskutieren und in gemeinsamer Verantwortung im Schulgesetz regeln. Das ohnehin schon viel zu angespannte Schulnetz darf nicht weiter ausgedünnt werden. Wir brauchen auch keine Schulkombinate mit tausend und mehr Schüler:innen. Wir müssen das wieder in Gang gesetzte Schulsterben und unnötige Großfusionen beenden.
Auch wenn sich also in absehbarer Zeit keine ernsthafte Perspektive bietet, um die frühe Selektion nach der 4. Klasse zu überwinden, können wir nicht beim derzeitigen gegliederten Schulsystem stehenbleiben. Mehr als 30 Jahre nach Einführung der Sekundarschule zeigen sich unüberwindbare Probleme sowohl in der Akzeptanz bei den Eltern als auch in der Gewinnung des Lehrkräftenachwuchses für diese Schulform. Der Sekundarschule mangelt es systembedingt an Attraktivität, weil sie vor allem darüber definiert wird, dass ihre Schüler:innen als nicht gut genug für das Gymnasium gelten.
Wir wollen diese Zweigliedrigkeit mit der Zuweisung in höhere und niedere Schulformen und Bildungsgänge in ein zweisäuliges Schulsystem überführen. Nach der Grundschule sollen als landesweites Bildungsangebot zwei Schulformen etabliert werden, die auf Augenhöhe nebeneinanderstehen. Dafür wollen wir die Gemeinschaftsschule so entwickeln, dass sie, aufbauend auf einem qualitativ hochwertigen berufspraktischen Unterricht ab dem 7. Schuljahrgang in einer neuen zweijährigen Fachoberstufe regelhaft die Fachhochschulreife als weiteren Schulabschluss vergeben kann.
Entsprechend soll auch die Lehramtsausbildung grundlegend reformiert werden. Statt der bisherigen vier auf einzelne Schulformen bezogenen Lehramtslaufbahnen für die allgemeinbildenden Schulen soll nur noch in zwei Laufbahnen ausgebildet werden. Diese sollen sich auf das Alter der Kinder und Jugendlichen beziehen – also auf die Primarstufe bis zur Klasse 4 und auf die Sekundarstufe für die Klassenstufen 5 bis 12. Die auch in Zukunft geforderten förderpädagogischen Kompetenzen sollen die angehenden Lehrkräfte in diesen beiden Studiengängen in ausreichendem Umfang erwerben.
Zum Schluss will ich den Teil der Novelle ansprechen, der uns mit am wichtigsten ist, weil er quasi über allen anderen Themen steht. Es geht uns um eine durchgreifende Stärkung der Einzelschulen. Wir wollen deutlich mehr Entscheidungen direkt in die Schulen geben und dabei die schulischen Gremien stärken. Die Schulen sollen mehr Möglichkeiten erhalten, in gemeinsamer Arbeit von Pädagog:innen, sowie der Eltern- und Schülerschaft ein identitätsstiftendes Schulprofil zu entwickeln und für ein gutes Schulklima zu sorgen. So sollen die vielfältigen Potenziale der Akteure vor Ort besser genutzt und die Demokratiebildung gestärkt werden.“
Text/Foto: Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt am 25. April 2024