Heute im Bundestag: Experten-Streit ĂŒber allgemeine Impfpflicht

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Gesundheit/Anhörung

Berlin: (hib/PK) Die mögliche EinfĂŒhrung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus stĂ¶ĂŸt bei Experten neben Zustimmung auch auf praktische und systematische Bedenken. Fachleute von Gesundheits- und SozialverbĂ€nden beleuchteten am Montag in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages eine Impfpflicht aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Rechtsexperten rieten, eine verpflichtende Impfung ĂŒberzeugend zu begrĂŒnden, um eine Niederlage vor Gericht zu verhindern. Die SachverstĂ€ndigen Ă€ußerten sich in der dreistĂŒndigen Anhörung sowie in schriftlichen Stellungnahmen. Grundlage der Anhörung waren fĂŒnf verschiedene Konzepte aus den Reihen der Abgeordneten fĂŒr und gegen die allgemeine Impfpflicht.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sprach sich fĂŒr eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren aus. Aktuell versorgten die KrankenhĂ€user tĂ€glich mehr als 23.000 Patienten, die positiv auf Covid-19 getestet seien. Die Belegungszahlen stiegen wieder deutlich an, auf Intensiv- und Normalstationen. Die Belegungszahlen und die neuen Rekordwerte bei der bundesweiten Inzidenz machten deutlich, dass die aktuelle Impfquote noch nicht hoch genug sei, um die KrankenhĂ€user nachhaltig vor einer dauerhaften Überlastung zu schĂŒtzen.

Der Sozialverband VdK verzichtete auf eine Positionierung zur allgemeinen Impfpflicht und argumentierte, es handele sich um eine gesellschaftlich ethische Frage. Letztlich gehe es dabei um die verfassungsrechtliche Seite, da eine solche Impfpflicht einen Grundrechtseingriff fĂŒr Millionen Menschen mit sich bringe. Sollte es zu einer Impfpflicht kommen, forderte der Verband eine begleitende fachĂ€rztliche Beratung sowie Ausnahmen fĂŒr Menschen mit Vorerkrankungen und Behinderungen. Der VdK warnte auch davor, dass Menschen nicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden dĂŒrften. Zudem mĂŒsse es bei einer Impfpflicht mehr Impfangebote denn je geben sowie die VerknĂŒpfung von Kontrolle und Impfangebot.

Der Deutsche StĂ€dtetag hĂ€lt die EinfĂŒhrung der allgemeinen Impfpflicht fĂŒr richtig, fordert aber eine bessere Vorbereitung als bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, deren Umsetzung teilweise immer noch unklar sei. Ähnliche Webfehler mĂŒssten dringend vermieden werden, zumal die Kommunen derzeit zusĂ€tzlich gefordert seien durch die vielen FlĂŒchtlinge aus der Ukraine.

Bedenken Ă€ußerte der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Die derzeit vorhandenen Impfstoffe könnten die Verbreitung des Virus nicht verhindern und das Virus auch nicht eliminieren, die VerlĂ€ufe bei der Omikron-Variante seien in der Regel mild. Die GesundheitsĂ€mter seien zudem nach zwei Jahren Pandemie und immer neuen Aufgaben am Ende ihrer KrĂ€fte und Ressourcen. Der Verband kommt zu dem Schluss, dass eine pauschale Impfpflicht derzeit nicht kontrollierbar und damit nicht durchsetzbar sei.

Nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes kann die schrittweise oder bedingte Ausweitung der Impfpflicht einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems leisten. Auch wenn die Impfung nicht vollstĂ€ndig vor einer Infektion schĂŒtze, könne sie doch zuverlĂ€ssig vor einem schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf mit Covid-19 schĂŒtzen. Je geringer die Impfquote, desto grĂ¶ĂŸer sei das Risiko einer erneuten Infektionswelle im Herbst mit der Folge erheblicher PersonalausfĂ€lle und VersorgungsengpĂ€sse, etwa in der Pflege oder anderen sozialen Einrichtungen.

Mit möglichen Versorgungsproblemen sowie den Rechten der Kinder argumentierte der Berufsverband der Kinder- und JugendĂ€rzte (bvkj), der eine allgemeine Impfpflicht fĂŒr Erwachsene nachdrĂŒcklich befĂŒrwortete. Ungeimpfte Erwachsene schrĂ€nkten mit ihrem Verhalten insbesondere die Grundrechte der Kinder ein, das sei nicht hinnehmbar. Es sei jetzt die SolidaritĂ€t der Erwachsenen mit den Kindern gefragt. Ohne vermehrte Impfungen könne es im Herbst und Winter wieder große Probleme und VersorgungslĂŒcken geben.

Der Arbeitgeberverband BDA plĂ€dierte fĂŒr eine Intensivierung der Impfkampagne, sieht in der Impfpflicht aber auch Risiken. Eine Impfpflicht könne ein sinnvoller Beitrag zur notwendigen Steigerung der Impfquote sein, sofern sie praktikabel und umsetzbar sei und die Kontrolle und Durchsetzung sachgerecht geregelt werde. Allerdings gebe es weder ein Impfregister noch sei die elektronische Patientenakte (ePA) verbreitet. Somit könne die Umsetzung einer Impfpflicht ĂŒber die gesetzlichen Krankenkassen aufwendig und fehlerhaft werden.

Nach Ansicht des Medizinrechtlers Josef Franz Lindner ist die EinfĂŒhrung einer Impfpflicht gegen Sars-Cov-2 grundsĂ€tzlich verfassungsrechtlich legitim. Der Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung sei ein verfassungsrechtlich hinreichend legitimer Zweck zur Rechtfertigung des Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Allerdings wĂ€re seiner Ansicht nach eine allgemeine Impfpflicht, die sofort oder zeitnah umgesetzt wĂŒrde, als „Vorratsimpfpflicht“ verfassungsrechtlich problematisch. Mit Blick auf den legitimen Zweck der Verhinderung einer Überlastung der KrankenhĂ€user bestehe derzeit kein konkretes „ZweckverwirklichungsbedĂŒrfnis“. Den Gesetzgeber treffe die Pflicht zur Schaffung eines Vorratsgesetzes, nicht hingegen die einer Vorratsimpfpflicht „ins Blaue“ hinein.

Auch der Verfassungsrechtler Robert SeegmĂŒller hĂ€lt das vorliegende Konzept einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren derzeit fĂŒr verfassungsrechtlich nicht ausreichend begrĂŒndet, anders als die Konzepte fĂŒr eine verpflichtende Impfberatung und eine Impfpflicht ab 50 Jahren unter Vorbehalt sowie fĂŒr ein Impfvorsorgegesetz. Der Gesetzentwurf fĂŒr eine Impfpflicht ab 18 Jahren sei verfassungsrechtlich nicht tragfĂ€hig begrĂŒndet. Es gelinge nicht, die VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit des Eingriffs in der gebotenen Weise darzulegen.

Der Rechtsexperte Franz Mayer kam hingegen zu dem gegenteiligen Schluss, dass eine Impfpflicht ab 18 Jahren am besten den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. FĂŒr die verhĂ€ltnismĂ€ĂŸige Ausgestaltung der Impfpflicht komme dem Gesetzgeber ein weiter EinschĂ€tzungsspielraum zu. Gegen die Impfpflicht sprĂ€chen weder die begrenzte Schutzwirkung der Impfstoffe noch etwa das Fehlen eines Impfregisters oder die fehlende zwangsweise Durchsetzung einer Impfpflicht. Dass es keine letzten medizinischen Gewissheiten gebe, bedeute nicht, dass nicht gehandelt werden solle, sagte Mayer in der Anhörung.

Die Juristin Frauke Rostalski gab in der Anhörung hingegen zu Bedenken, dass eine Impfpflicht mit einer erheblichen BegrĂŒndungslast einhergehe. Eine allgemeine Impfpflicht könne nicht mit hypothetischen Risiken begrĂŒndet werden. Es mĂŒsse mit vielen Verweigerern gerechnet werden und mit gesellschaftlichen Verwerfungen. Zudem blieben ungeklĂ€rte Fragen nach der praktischen Durchsetzung. Sie warb dafĂŒr, Menschen fĂŒr eine freiwillige Impfung zu motivieren.

Der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wissmann riet in der Anhörung nachdrĂŒcklich zu einfachen und unbĂŒrokratischen Lösungen. So sei etwa eine Beratungspflicht in der Umsetzung schwierig. Es stelle sich die Frage, wer das praktisch machen solle.

Die Virologin Melanie Brinkmann betonte in der Anhörung, es sei sinnvoll, die Menschen ĂŒber Impfungen systematisch aufzuklĂ€ren, weil auch viele Falschinformationen dazu im Umlauf seien und viele Menschen Angst hĂ€tten und verunsichert seien. FĂŒr solche AufklĂ€rungen werde aber unbedingt geschultes, fachkundiges Personal benötigt.

Deutscher Bundestag am 21. MĂ€rz 2022