Anlässlich der heute durch das Statistische Bundesamt veröffentlichten Inflationsrate, die mit 5,2 Prozent so hoch wie seit 29 Jahren nicht liegt, bekräftigt der Paritätische Wohlfahrtsverband die Forderung nach einem spürbaren Ausgleich für Beziehende von Grundsicherung und Wohngeld. Die bisher zum 1.1.2022 geplante Hartz-IV-Regelsatz-Anhebung um nicht einmal ein Prozent falle viel zu niedrig aus und komme somit angesichts der aktuellen Preisentwicklung sogar einer Kürzung gleich, kritisiert der Verband. Der Verband fordert den Gesetzgeber auf, umgehend dafür zu sorgen, dass die Fortschreibungsformel für die Regelsätze in der Grundsicherung so angepasst wird, dass Preissteigerungen immer mindestens ausgeglichen werden. Im Wohngeld brauche es zudem eine wirksame Energiekostenpauschale.
„Es war bereits seit Monaten absehbar, dass sich die Grundsicherungsleistungen zu Beginn nächsten Jahres noch weiter vom tatsächlichen Bedarf der Menschen entfernen und sogar Kaufkraftverluste zeigen, wenn bei dem im Gesetz verankerten Fortschreibungsmechanismus der Regelsätze nicht nachjustiert wird“, kritisiert Ulrich Schneider (Foto), Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. „Der Vorgang ist nicht nur für die betroffenen Menschen hart und folgenschwer – er unterläuft darüber hinaus grundsätzlich den sozialstaatlichen Grundauftrag, das menschenwürdige Existenzminimum sicherzustellen.“ Sollte der Gesetzgeber jetzt nicht aktiv werden und zumindest einen Inflationsausgleich sicherstellen, verstoße er gegen die Verfassung, warnt der Verband und verweist auf ein Gutachten der Rechtswissenschaftlerin Professorin Anne Lenze, nach dem die zum 1.1.2022 geplante sehr geringe Erhöhung der Regelsätze verfassungswidrig ist. Die niedrige Anpassung der Regelbedarfe zum 1.1.2022 in Verbindung mit der anziehenden Inflation läute eine „neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums“ ein, so das Ergebnis der juristischen Prüfung, die der Paritätischen Wohlfahrtsverband in Auftrag gegeben und im Oktober veröffentlicht hatte.
Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegten nunmehr den akuten Handlungsbedarf. Der Paritätische fordert die Bundesregierung auf, umgehend dafür zu sorgen, dass die Fortschreibungsformel für die Regelsätze in der Grundsicherung so angepasst wird, dass Preissteigerungen immer mindestens aufgefangen werden. Davon unabhängig kritisiert der Paritätische die Regelsätze als grundsätzlich nicht bedarfsdeckend. „Unsere Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro steht nach wie vor“, betont Schneider. „Ein Blick auf die Preise im Supermarkt genügt, um zu sehen, dass die geltenden Armutssätze nicht reichen, um über den Monat zu kommen. Die geplante Anhebung um 3 Euro ist bestenfalls ein schlechter Witz.“ Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle hätte ein sachgerecht ermittelter Regelsatz für einen alleinlebenden Erwachsenen bereits jetzt mindestens 644 Euro statt den geltenden 446 Euro betragen müssen.
Zum Hintergrund:
Die Höhe der aktuellen Regelsätze wurde im sogenannten Regelbedarfsermittlungsgesetz zum 1.1.2021 festgelegt. Der Paritätische kritisiert, dass der Gesetzgeber hier einmal mehr die verfassungsrechtlich eingeräumten gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Ermittlung der Regelbedarfe ausschließlich zur Kürzung genutzt hat. Die Regelsätze sind im Ergebnis zu niedrig und nicht bedarfsdeckend. Die allgemeine Inflationsrate lag im Juli dieses Jahres bei 3,8 Prozent. Die jährliche Fortschreibung der Regelsätze zum 1. Januar erfolgt jedoch nach dem Sozialgesetzbuch XII auf Basis eines Mischindexes, der zu 70 Prozent die regelsatz-spezifische Preisentwicklung und zu 30 Prozent die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter berücksichtigt. Nach aktuellen Medienberichten soll der Regelsatz für Jugendliche und Erwachsene zum 1.1.2022 um drei Euro und für Kinder unter 14 um um zwei 2 Euro angehoben werden.