Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner schrieb für das „Handelsblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) und „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Die deutsche Industrie steht vor großen Umwälzungen. Die Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Quellen fordert unsere Betriebe heraus. Wir können uns glücklich schätzen, dass Deutschland immer noch ein weltweit beachteter Standort auch für energieintensive Industrien ist. Dabei muss es bleiben. Andere Länder haben erlebt, welche Folgen der Verlust industrieller Fertigung hat, bis hin zum Verlust zahlloser Arbeitsplätze.
Bisher hat unsere Industrie den Herausforderungen dank Erfindergeist, Innovationskraft und unternehmerischer Kreativität gut trotzen können. Spätestens Putins Energiekrieg aber zeigt nun, dass billige Energie keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Als Bundesregierung müssen wir die Industrie auf dem Weg der Transformation unterstützen. Die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit steht deshalb ganz oben auf meiner Agenda – durch gute steuerliche Rahmenbedingungen zum Beispiel oder beschleunigte Genehmigungsverfahren.
In erster Linie auf direkte staatliche Hilfen zu setzen ist allerdings ökonomisch unklug. Es widerspricht auch den Prinzipien unserer Sozialen Marktwirtschaft. Den zum Teil auch von unseren Koalitionspartnern angedachten Industriestrompreis sehe ich deshalb sehr kritisch. Klar ist: Die Energiepreise müssen sowohl für private Stromkunden wie auch für die Industrie bezahlbar bleiben. Extrem teure Subventionen sind dafür aber aus mehreren Gründen der falsche Weg.
Erstens wäre ein Industriestrompreis verteilungspolitisch ungerecht: Die Privilegierung von Industrieunternehmen wäre wohl nur auf Kosten anderer Stromverbraucher und Steuerzahler umsetzbar, zum Beispiel von Privathaushalten oder des Handwerks. Die Wettbewerbsfähigkeit für manche zu steigern würde für andere damit einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit bedeuten.
Eine solche Quersubventionierung wäre industrie- und sozialpolitisch zweifelhaft. Im ohnehin angespannten Haushalt gibt es auch keinen Spielraum für entsprechend hohe Subventionen. Eine Umwidmung von Mitteln des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds Energie wiederum, der angesichts des russischen Angriffskriegs strikt zweckgebunden angelegt worden ist, ist ausgeschlossen.
Zweitens wäre eine dauerhafte staatliche Energiekostenhilfe auch ökonomisch ineffizient: Es käme zu einer unnötigen Zersplitterung des Strommarktes. Hohe Preise sind immer ein Zeichen von Knappheit. Aber gerade dieses Signal würde bei einem langfristig festgelegten Industriestrompreis nicht mehr ankommen. Die betroffenen Betriebe hätten beispielsweise über zehn Jahre keine Anreize, auf Preise zu reagieren und stromintensive Prozesse zum Beispiel dann einzutakten, wenn Strom gut verfügbar und günstig ist. Wettbewerb und ökonomisches Verhalten würden damit ausgebremst.
Ein Industriestrompreis würde somit den freien Markt persiflieren. Unternehmen könnten so lange Strom verbrauchen, wie sie die vom Staat festgelegten Preise bezahlen – unabhängig von den Folgen für das Stromsystem als Ganzes. Gewöhnungseffekte wären die Folge – und die sind bekanntlich Gift für jede Art von Transformation. Ein Ausstieg wäre umso schwieriger.
Drittens gäbe es viele praktische Probleme: Es ist unmöglich abzugrenzen, wo Industrie genau beginnt und endet. Denn natürlich dürfte ein Industriestrompreis auch nicht zu Wettbewerbsverzerrungen, zum Beispiel mit dem Handwerk, führen. Auch energieintensive Dienstleister wie Betreiber von IT- Rechenzentren wären wohl einzubeziehen.
Es gibt also gute Gründe, warum die Koalition ein solches Modell gerade nicht im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Nachbarstaaten wie die Niederlande oder Dänemark stehen Instrumenten wie einem Industriestrompreis ebenfalls kritisch gegenüber. Auch das Beispiel Frankreich macht keine Hoffnungen, dass staatlich gedeckelte Energiepreise zu nachhaltigem Erfolg führen. Die Regierung rechnete im Februar mit knapp 50 Milliarden Euro Subventionen allein für das laufende Jahr. Die Schulden des staatlichen Stromversorgers EDF stiegen im vergangenen Jahr auf 65 Milliarden Euro, was sich negativ auf die französische Schuldenquote auswirkt.
Was wir jetzt statt immer neuer Subventionen brauchen, ist eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik, um wirtschaftliche Dynamik anzukurbeln und private Investitionen zu entfesseln. Mit der Unternehmensbesteuerung gibt es einen effektiven Hebel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Ein solches neutrales Instrument bevorzugt auch keine einzelnen Industrien, sondern überlässt es dem Markt, in welchen Bereichen die Ressourcen der deutschen Wirtschaft am besten eingesetzt werden.
Daher arbeite ich als Bundesfinanzminister an einem Gesetzespaket, das Anreize für Innovationen und Erneuerung setzt, um so die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft insgesamt zu verbessern. Außerdem werden wir die im Koalitionsvertrag vereinbarte Investitionsprämie, insbesondere für Investitionen in die Transformation und Modernisierung der Wirtschaft, einführen.
Wir müssen uns die Flexibilität bei der Wahl der Fördermöglichkeiten in Bezug auf den Ausbau erneuerbarer Energien erhalten. Eine Verengung des Förderinstrumentariums auf sogenannte „Contracts for Differences“, wie jüngst von der EU-Kommission vorgeschlagen, zeigt dabei in die falsche Richtung. Auch hier müssen wir zu einem stärker marktgetriebenen System kommen.
Investitionskostenzuschüsse wären beispielweise eine Option. Dabei würde sich der Staat nach getätigter Investition zurückziehen, die Vergütung und Entscheidungen der Betreiber würden marktbasiert erfolgen, und der Bundeshaushalt würde nicht langfristig gebunden. Auch eine Reform der Strom- und Energiesteuern sollte erwogen werden, bevor man zu Subventionen greift. So würden wir alle Stromkunden entlasten, ohne direkt in den Markt einzugreifen.
Es ist unerlässlich, das verfügbare Energieangebot auszuweiten. Ein hoher Grad an Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise für alle Verbraucher, also nicht nur für die Industrie, sondern auch für den Mittelstand, den Dienstleistungssektor und private Haushalte, sind unser Ziel. Dafür haben wir eine Reihe von Maßnahmen zur Beschleunigung insbesondere von Projekten im Energiebereich auf den Weg gebracht. Darüber hinaus sollten wir über Einsparmöglichkeiten beim Engpassmanagement nachdenken, um dadurch die Stromnetzentgelte zu senken.
Möglichkeiten, Energiepreise zu reduzieren, sollten wir im Rahmen von marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik entwickeln und nicht durch eine Subventionierung aus dem Staatshaushalt oder auf Kosten anderer Stromkunden. Es ist im Übrigen bemerkenswert, dass ein Industriestrompreis gerade von jenen ins Gespräch gebracht wird, die ansonsten um keine Belastungsidee bis hin zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich verlegen sind. Wer Industrie im Land halten will, sollte beim Verzicht auf solche Fantasien anfangen.
Foto © Christian Lindner