14.080 Gefährdete aus Afghanistan warten trotz Aufnahmezusage seit Monaten auf die Ausreise nach Deutschland. 1480 von ihnen befinden sich in Pakistan und im Iran, die große Mehrheit noch in Afghanistan, teilte das Auswärtige Amt NDR Info mit. Mehrere tausend weitere Menschenrechtlerinnen, Journalisten, Politikerinnen und andere Bedrohte stecken derzeit laut Bundesinnenministerium im Antragsprozess des Bundesaufnahmeprogramms fest. Das Bundesaufnahmeprogramm ist seit zwei Monaten wegen Sicherheitsbedenken ausgesetzt. Es soll im Juni mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen wieder anlaufen.
Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise von besonders Gefährdeten aus Afghanistan über das Bundesaufnahmeprogramm vorübergehend gestoppt, also etwa für Frauen- und Menschenrechtlerinnen, Regimegegner, Angehörige verfolgter Minderheiten oder Mitarbeitende der 2021 gestürzten Regierung. Der Bundesregierung liegen nach Angaben des Auswärtigen Amtes „Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan vor“. Lediglich in einem einzelnen Fall sei aber davon auszugehen, dass es sich um einen Gefährder handelte. Diese Missbrauchsversuche wurden laut einer Ministeriumssprecherin im Visaverfahren entdeckt und unterbunden. Dennoch wurden Ausreisen von Personen mit Aufnahmezusagen komplett ausgesetzt, auch von ehemaligen Ortskräften der Bundesregierung.
In Pakistan und im Iran warten afghanische Familien mit Aufnahmezusage derzeit vergeblich auf ihre Visa für die Ausreise nach Deutschland. Manche sind in der Zwischenzeit obdachlos geworden, können wegen Drohungen der Taliban nicht zurück nach Afghanistan, dürfen nicht nach Deutschland und haben in Pakistan keine Lebensgrundlage. Unter den Wartenden sind Menschen, die von den Taliban mit dem Tod bedroht werden. Die afghanische Politikerin Feroza Ahmadzai etwa hatte im vergangenen August eine Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums bekommen. Die 43-jährige Frauenrechtlerin war von den Taliban in der zentralafghanischen Provinz Logar schriftlich mit dem Tod bedroht worden. Entsprechende Dokumente liegen NDR Info vor.
Zusammen mit ihrem Mann, einem ehemaligen Berater im Kabuler Präsidentenpalast, und fünf kleinen Kindern war Ahmadzai im Oktober 2022 zu Gesprächen in der Deutschen Botschaft in Islamabad. Eines führten sie mit einem Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ brachte die afghanische Familie im Auftrag und auf Kosten der Bundesregierung fünf Monate lang in einem Hotel in Pakistans Hauptstadt unter. Mehrfach gab es Kontakt über mögliche Flüge zur Ausreise nach Deutschland. Ende März dieses Jahres wurde die Aufnahmezusage dann aber überraschend und ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Familie kann sich das nicht erklären und bat wiederholt um ein Gespräch mit den deutschen Behörden. Das Auswärtige Amt (AA) antwortete NDR Info, es könne sich „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und des Datenschutzes grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußern“.
Die Bundesregierung arbeitet laut AA an der „schnellstmöglichen Wiederaufnahme der Ausreisen aus Afghanistan und Visumbearbeitung von Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage“. Man sei zuversichtlich, „dass wir in den nächsten Wochen die angepassten Sicherheitsmechanismen, die auch Sicherheitsinterviews beinhalten, im Verfahren umsetzen können und dementsprechend die Verfahren wieder aufnehmen können“. Eine Visaerteilung in der iranischen Hauptstadt Teheran ist künftig aber nicht mehr möglich, so dass die Deutsche Botschaft in Islamabad nach Einschätzung Verfahrensbeteiligter zum Nadelöhr für Antragstellende wird.
Hilfsorganisationen und Opposition kritisieren den Stopp der Einreisen Gefährdeter aus Afghanistan scharf. Axel Steier, Gründer von Mission Lifeline sagte NDR Info: „Wir haben da so viele Jahre Geld reingesteckt, wir haben den Menschen Versprechungen gemacht. Wir haben den Leuten die Zukunft versprochen, und jetzt lassen sie sie im Regen stehen. Das ist nicht nachvollziehbar.“ Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Clara Bünger, sieht „keine Anhaltspunkte, warum das Überprüfungssystem vor Ort falsch sein sollte“, weil es bei der Aufdeckung der Missbrauchsversuche ja funktioniert habe. Laut Bünger zählt jetzt jeder Tag, weil die Betroffenen in ganz konkreter Gefahr seien. „Es kann auch Leben gefährden, wie wir auch in der Vergangenheit schon gesehen haben.“
Quelle/Norddeutscher Rundfunk
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