Es ist nicht zu leugnen: Ein Schleier liegt über der Welt. Egal ob einem gerade die Tagesschau oder ein leichtes Smalltalkgespräch unter Freund:innen in den Ohren klingt – es ist spürbar, dass wir uns in unaufhaltsamem Umbruch befinden. Und wir wissen: Umbruch, Wandel und Veränderung tut oftmals weh. Wir lassen Altes los und wissen noch nicht, was Neues auf uns zukommt, wir zittern und bangen um die Zukunft und die unserer Kinder und viele von uns arbeiten unaufhörlich und fleißig an einer besseren Welt.
Doch um an dieser schöneren, friedlicheren Welt zu arbeiten, braucht man Kraft. Klar, der Gedanke liegt nahe, dass aktuell eine Stimmung der Ernsthaftigkeit herrschen sollte, eine Ära der stillen Solidarität und Trauer: keine Zeit zu feiern. Aber das ist ein Trugschluss. Vielmehr verhält es sich doch wie in den Sicherheitsanweisungen im Flugzeug:
Zuerst setzt du deine eigene Sauerstomaske auf, dann erst kannst du anderen überhaupt helfen und zur Seite stehen. In Zeiten wie diesen ist es ein revolutionärer Akt, sich selbst und anderen einen Moment der Leichtigkeit zu gönnen. Einen Tanz, eine Berührung, einen ausgelassenen Abend.
Genau davon erzählt LOTTEs neue Single „LASS DIE MUSIK AN“. Von einer Nacht, in der die Welt besonders schwer auf den Schultern liegt, aber der urmenschliche Wunsch nach ausgelassener Freude sich dennoch einen Weg in die Hüften bahnt. Von heimlichem Hedonismus und der Sehnsucht, freizudrehen, allen Widrigkeiten zum Trotze.
„In den Gläsern und den Meeren hat sich das Eis schon ergeben“ ist die Metapher, mit der LOTTE aufzeigt, dass das Weltgeschehen sich eben doch einen Weg in unser Privates bahnt, egal wie sehr wir versuchen, es nicht an uns ranzulassen. Aber die 26-Jährige, die mit der dritten Single „LASS DIE MUSIK AN“ auf ihr mittlerweile drittes Studioalbum „Woran hältst du dich fest, wenn alles zerbricht?“ neugierig macht, weiß: Auch wenn die Welt untergeht – die Show muss weitergehen, die Musik bleibt an. Im Text illustriert LOTTE den Club als eskapistischen Safe Space:
„Draußen ist Chaos, ich kann noch nicht gehen / Alles ist gut, wenn ich dich tanzen seh‘: La-la-la-la-LASS DIE MUSIK AN“.
Was durch die eingängigen Melodien hindurch aber klar wird: Hier geht es nicht darum, die Augen vor dem Bösen zu verschließen. Keine Leugnung, keine Toxic Positivity, kein „wird schon alles gut“. Atmosphärische Synths und funky Bassgitarren verführen zum Tanz, aber spätestens wenn LOTTE eine Referenz auf Midnight Oils Eighties-Klassiker „Beds Are Burning“ bringt, stellt sich die Frage: „Wie können wir schlafen, wenn unsere Betten in Brand stehen?“. Die Antwort liegt, wie so oft, im Aushalten von Widersprüchen und Gleichzeitigkeiten. LOTTE lenkt den Blick auf das Gute, das uns verbindet und auf die Dinge und Menschen, die uns stärken, damit wir gemeinsam gekräftigt die Zukunft verändern können.
Zwischen den vermeintlichen widersprüchlichen Zeilen „tausend mal will ich mich drehen“ und „mach dass die Zeiger stillstehen“ erstreckt sich der Dancefloor, auf dem LOTTE auch mal four on the floor sein lässt, wenn draußen das Schicksal tobt. Die gebürtige Ravensburgerin ist in einer neuen Ära angekommen: Eine Ära der Oenheit, die sie mutig in die Welt singt, auch wenn diese Ehrlichkeit manchmal schmerzen kann. So ist ihr mit „LASS DIE MUSIK AN“ ein tanzbarer Track gelungen, der es schat, die vielen Facetten des Lebens anzuerkennen, ohne an Lebensfreude einzubüßen. Kleine Kinder singen gerne „la la la la“ und halten sich die Ohren zu, um missliebige Wahrheiten nicht hören zu müssen. LOTTE aber hört man an, dass sie die Welt als erwachsene Frau betrachtet. An ihr „la la la la“ lässt sie selbstbewussten Schluss folgen: „LASS DIE MUSIK AN“, egal, was kommt.
Auch wenn alles zu zerbrechen scheint, an einer tröstliche Wahrheit können wir uns festhalten: Alles dreht, alles dreht. Und so dreht sich auch die nächtliche Welt irgendwann wieder zur Sonne.
Foto (c) Sony Music