Warum eigentlich „Glas“?
Auf die Antwort nach der Frage zu dem Albumtitel ihres Debüts, muss Nina Chuba nicht lange überlegen.
„Der Titel Glas passt einfach perfekt. Glas steht für etwas Starkes, Beständiges und Glänzendes. Gleichzeitig hat es auch etwas Transparentes und Zerbrechliches. Alles Attribute, mit denen ich mich gut identifizieren kann.“
Es ist eine typische Nina-Chuba-Antwort. Wer der 24-Jährigen auf ihren Social-Media-Kanälen folgt, der weiß um diese Mischung aus Witz und Ernst, Humor und Nachdenklichkeit. Hier eine Storytime aus dem WG-Alltag, da ein neuer Tanz, dann aber auch wieder Themen wie Depressionen, eigene Ängste oder Feminismus. Ernst und Spaß schließen sich gegenseitig nicht aus, im Gegenteil: Mit genau dieser reflektierten Offenheit und gelebten Gegensätzen ist die Hamburgerin zum Star einer neuen Generation geworden.
Eine Herangehensweise, die Nina Chuba auch auf ihrem Debütalbum „Glas“ verfolgt. Da ist zum einen ein Song wie „Alles gleich“. Einer der ersten Songs, mit denen Nina Chuba nach zwei englischsprachigen EPs in ihre Muttersprache switchte – über Depressionen und schwere Herzen und Gefühle, die auch dunkel und dumpf bleiben, wenn sich um einen rum alles verändert. „Ich denke, ‚Alles gleich‘ ist bis heute einer meiner wichtigsten Songs, weil ich gemerkt habe, dass ich alles, was mich beschäftigt genauso aufschreiben kann, wie ich es auch wirklich sagen will.“
Ganz ähnlich verhält es sich, wenngleich auch auf der musikalischen Ebene, mit „Femminello“ benannt nach der gleichnamigen Zitronensorte – Sommer satt, Sonne pur und ein gutgelaunter Toast auf das dolce vita. Entstanden im Frühjahr 2022, kam hier alles zusammen, was Nina Chuba in Sachen Sound geprägt hat: Off-Beats, Reggae und Dancehall – und zwar so viel davon, dass einem davon ganz warm ums Herz wird und man das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommt. „Genau diese beiden Seiten von mir, das Glückliche und das Melancholische, bringen das Album perfekt auf den Punkt“, sagt Nina Chuba.
Mit den 18 Tracks auf „Glas“ lässt Nina Chuba den längst überfälligen Status als Nachwuchstalent hinter sich und etabliert sich endgültig als New-Gen-Queen des, ja, was eigentlich genau? Sie einfach nur eine Rapperin zu nennen, wäre falsch, schlichtweg zu kurz gegriffen und würde dem, was Nina Chuba in ihrer Musik vereint, nicht gerecht. Was sich mit den bisherigen Singles bereits angedeutet hat, wird auf „Glas“ zur Perfektion getrieben. Spielerisch bewegt Nina Chuba sich zwischen süßem Pop, energetischem Dancehall, UK, Afrobeats- und Reggae-Einflüssen sowie klassischem Rap und lässt mal tiefgründige und mal tanzbare Songs entstehen.
Dass Nina Chuba vor allem Letztere beherrscht, hat sie dieses Jahr bereits mehrfach bewiesen. „Wildberry Lillet“ holte sich nicht ohne Grund viermal Platz 1 in den Charts. Nachdem der Song bereits wochenlang auf TikTok viral gegangen war, gab es mittlerweile Gold in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Platin in Österreich und der Schweiz für den Sommerhit auf dem Nina Chuba zu Highlife-Bläsern und dubbigen Dancehall-Beats im Vorbeigehen die ultimative Wunschliste für sich und ihre Liebsten zusammenstellte – das Haus für Mama an der sizilianischen Küste und gleich nach dem Aufstehen mundgerechte Vorspeisen plus Fruchtlikör mit wilden Beeren auf Eis inklusive.
Überhaupt gelingt Nina Chuba das, woran viele scheitern: Stimmungen einfangen, Vibes catchen und Momente so zu Musik machen, dass sie für immer bleiben. Da ist zum Beispiel „Freitag“ – ein Song über endlose Sommernächte in der Stadt. Ganz egal, ob das Wochenende noch vor, oder schon hinter einem liegt. Aber solange die Eiswürfel im Glas klimpern, fühlt man sich wie ein Gewinner und alles andere ist egal. Und „Sakura“ sieht zu hypnotischen Grooves durch eine Brille, deren Gläser so rosarot wie japanische Kirschblüten sind, in eine gemeinsame Vergangenheit.
Ganz anders „Solo“, ein schweißtreibender Feier-Fiebertraum zwischen R&B-Vibes und Reggaeton-Beats, zu denen das Strobolicht auch noch für einen ganz alleine flackert, während alle anderen schon auf dem Weg nach Hause sind. „Ich hass dich“ mit Chapo102 ist wiederum 3 Minuten und 13 Sekunden geballte Antipathie. Ein Lied gegen all die Faltenlosen und Gestriegelten mit dem Lächeln aus der Zahnpasta-Werbung. Die, denen alles immer und ständig in den Schoss fällt, während man selbst nur Nieten oder falschen Lose zieht. Vielleicht ein bisschen drastisch, aber manchmal muss das eben einfach sein.
Das ist die eine Seite von „Glas“, aber wer die Karriere von Nina Chuba seit ihrem deutschsprachigen Debüt-Single „Neben mir“ verfolgt, der weiß um die Schwere, welche manchen Songs der Künstlerin schon immer innewohnt. Da ist zum Beispiel „Mondlicht“, ein berührende Collabo mit MAJANoder „Glatteis“ – ein Song, über das Gefühl, als würde man mit 200 über die Autobahn brettern, während unter einem die Fahrbahn gefriert. Und trotzdem oder gerade deshalb drückt man das Gaspedal einfach weiter durch. Und dann ist da noch „Glas“. Reduzierte Piano-Klänge, über denen sanft hingehauchte Melodien schweben, zu denen Nina Chuba von Momenten erzählt, in denen man sich zu zweit und doch allein fühlt, als würde etwas oder vielleicht auch jemand fehlen.
„Glas“ ist ein beeindruckendes Album. Weil es von einer jungen Frau stammt, die nach dem Erscheinen völlig zurecht als Stimme einer neuen Generation bezeichnet werden dürfte. Eine Stimme, die manchmal laut ist und genau weiß, was sie will. Die keine Angst hat, die Dinge zu sagen, wie sie sind oder wie sie auf keinen Fall mehr sein dürfen. Die aber auch mal leise sein kann. Unsicher und verletzlich. Kein Widerspruch, sondern ganz genau richtig, wie sie ist. „Glas“ ist der eindrucksvolle Beweis.
Foto (c) Sony Music