rbb24 Recherche exklusiv: Tausende Strohleute aus Osteuropa im Einsatz für die Organisierte Kriminalität: Schäden in Milliardenhöhe für Deutschland

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Mehrere tausend Menschen aus Osteuropa werden derzeit von Kriminellen als Geschäftsführer und Gesellschafter deutscher Unternehmen eingesetzt, ohne davon zu wissen.

Sie sind Scheingeschäftsführer, sogenannte Strohleute. Die von ihnen geführten Unternehmen dienen der Organisierten Kriminalität für illegale Geschäfte und sind über ganz Deutschland verteilt. Das erklären leitende Ermittler des Zollkriminalamts (ZKA) gegenüber dem rbb in einem Exklusivinterview und bestätigen damit die Recherchen des rbb zu osteuropäischen Strohleuten.

Bei den Strohleuten handelt sich häufig um suchtkranke und obdachlose Menschen, die für illegale Zwecke missbraucht werden. Mit ihrer Hilfe verschleiern die kriminellen Hintermänner ihre Verantwortung und bauen zum Teil komplexe Firmennetzwerke auf. Mit Hilfe dieser Netzwerke werden schwere Straftaten wie Geldwäsche, Schmuggel, Sozialversicherungsbetrug und millionenschwerer Steuerbetrug begangen. Den Gesamtschaden für den deutschen Staat schätzen die Ermittler des ZKA auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich.

In den vergangenen Jahren sei es nach Aussage von Ralf Simon aus der Abteilung für Organisierte Kriminalität im ZKA zu einer Professionalisierung des Einsatzes von Strohleuten gekommen. Es habe sich ein regelrechter „Markt“ etabliert, auf dem „professionelle Dienstleister“ die Vermittlung von Strohleuten anböten und so die kriminellen Strukturen in Deutschland versorgten. Auch Notare und Wirtschaftsberater seien Teil dieses kriminellen Dienstleistungsbereichs.

Alle in Deutschland relevanten kriminellen Organisationen würden nach Erkenntnissen des ZKA auf Strohleute zurückgreifen, deren Einsatz nehme seit Jahren zu. Die Ermittler seien „fast täglich“ mit dem Phänomen konfrontiert. Sie sprechen diesbezüglich von einer „Unterminierung“ der Gesellschaft.

Die Berliner Vertreterin der seit Juni 2021 tätigen Europäischen Staatsanwaltschaft (EUSTA), EU-Staatsanwältin Annegret Ritter-Victor, sagt im rbb-Interview, dass die „Wirtschaftskriminalität in diesen Maßstäben gesellschaftszersetzend“ sei. Ritter-Victor kennt den Einsatz von Strohmännern aus europaweiten Betrugsverfahren, bei denen es auch um Steuerhinterziehung im bis zu dreistelligen Millionenbereich geht.

Für den Europäischen Staatsanwalt Tobias Lübbert steht beim Einsatz von Strohleuten auch die „Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats“ auf dem Spiel. Wenn solche Geschäfte komplett konstruiert und sämtliche Unterlagen gefälscht seien, würde Vertrauen in den Geschäftsverkehr generell geschädigt. Das könne „ganze Branchen stark beeinträchtigen“, so Lübbert.

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Florian Köbler, fordert angesichts der rbb-Recherche eine bessere Ausstattung der Steuerfahndungen in Deutschland: „Während systematischer Steuerbetrug jährlich Milliardenschäden verursacht, bleiben Steuerfahndungsstellen chronisch unterbesetzt. Dabei bringt jeder Steuerfahnder dem Staat durchschnittlich über eine Million Euro ein. Es ist höchste Zeit, in Personal und IT zu investieren.“

Zum System der Strohmann-Rekrutierung zeigt die ARD, am 30.07.2024 um 22.50 Uhr, die Dokumentation „Das Strohmann-Kartell. Dienstleister für die Mafia“.