Der Anlass dieser Aktuellen Debatte ist – was wir nicht von jeder Debatte behaupten können – ein sehr erfreulicher: Halle wird Standort des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation. Dazu auch noch einmal von dieser Stelle der Saalestadt meine herzlichsten Glückwünsche. Der 14. Februar war mit der Juryentscheidung ein großer Tag für Halle, aber auch für ganz Sachsen-Anhalt.
Das positive Votum für Halle war jedoch kein Selbstläufer. Wir haben uns gemeinsam für unsere Kulturhauptstadt kräftig ins Zeug gelegt. So hat die Landesregierung schon frühzeitig eine Priorisierung zugunsten der Stadt Halle vorgenommen. Ich möchte all denen danken, die durch ihren engagierten und entschiedenen Einsatz dazu beigetragen haben, dass Halle im Rennen der Bewerberstädte den Sieg davontragen konnte.
Da ist natürlich zuerst einmal das tolle Halle-Team um Bürgermeister Egbert Geier. Mehr als 70 kulturelle, wissenschaftliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Institutionen mit einer Vielzahl von Mitstreitern haben sich für die Stadt stark gemacht. Das war phantastisch. Und natürlich haben auch der Landtag und die Landesregierung ihren Beitrag dazu geleistet, z. B. in dem wir die Bewerbung Halles finanziell unterstützt haben. Mein Dank gilt aber auch den Städten in Sachsen-Anhalt, die zunächst selber eine Bewerbung erwogen hatten, dann aber Halle vorbehaltlos unterstützt haben. Dieses Gemeinschaftsgefühl hat ohne Zweifel – neben den unbestrittenen Vorzügen Halles – den Ausschlag pro Halle gegeben.
Wir wissen, Halle hat zahlreiche Vorzüge, die diese Stadt zu einem idealen Standort für ein solches Zukunftszentrum machen. Als da wären: Reichlich Transformationserfahrung, sowohl beim Umbau der Chemischen Industrie wie auch jetzt beim Strukturwandel weg von der Braunkohle.
Halle ist darüber hinaus ein exzellenter Wissenschaftsstandort mit jahrhundertelanger Geschichte. Dafür stehen die Deutsche Akademie der Naturwissenschaften Leopoldina ebenso wie die Martin-Luther-Universität und die Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Stadt. Ich denke hier nur an das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, das reiche Expertise im Bereich Transformation vorweisen kann.
Halle genießt aber auch als Stadt der Bildung und Kultur einen guten Ruf, auch bei unseren osteuropäischen Nachbarn. Da sind die Franckeschen Stiftungen, das Kunstmuseum in der Moritzburg oder die vielen Kreativen bei den Medienunternehmen der Stadt und vieles andere mehr. Und schließlich liegt die Stadt mitten im Herzen Europas und profitiert von ihrer hervorragenden Verkehrsanbindung.
Jetzt kommt es darauf an, aus dem positiven Votum für Halle etwas zu machen und die Voraussetzungen für eine schnelle Realisierung des Zukunftszentrum zu schaffen. Ich weiß, das Zentrum ist eine Einrichtung in der Zuständigkeit des Bundes, doch sowohl die Stadt Halle wie das Land Sachsen-Anhalt wollen und werden ihren Beitrag dazu leisten, dass das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation hier, so schnell es geht, Gestalt annimmt.
Ein Wunsch meinerseits ist dabei, dass der Bund auch die vielen guten Ideen der Mitbewerber Halles aus den anderen Bundesländern berücksichtigt. Das Zukunftszentrum ist ja nicht nur ein Zentrum für Halle oder Sachsen-Anhalt, es ist ein Zukunftszentrum für ganz Deutschland und insbesondere auch für Osteuropa.
Was Deutschland betrifft, so war uns 1990 noch nicht bewusst, wie groß die Herausforderung des gesellschaftlichen Zusammenwachsens sein würde. Den Ostdeutschen wurde eine strukturelle Transformation abgefordert, die ohne Beispiel ist. Für die allermeisten Menschen im Westen blieb hingegen vieles unverändert. Im vereinten Deutschland kamen zwei völlig unterschiedliche Erfahrungsgemeinschaften zusammen. Die politische Vereinigung war schnell vollzogen. An der Herstellung der inneren Einheit wurde dagegen zu wenig gearbeitet.
Es handelt sich beim Zukunftszentrum also um ein äußerst spannendes Projekt, um die Entwicklung wissenschaftlich und kulturell zu verarbeiten und vor allem Perspektiven für Deutschland und Europa aufzuzeigen. Denn letztendlich geht es darum, auf der Grundlage der gemeinsamen Transformationserfahrung in Deutschland und bei unseren östlichen europäischen Nachbarn unser gemeinsames künftiges Zusammenleben zu gestalten. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit und mehr Verständnis füreinander. Das geht nur, wenn wir mehr übereinander wissen.
Die Prozesse in Deutschland und Europa sind dabei eng miteinander verwoben. Die Wiedervereinigung Deutschlands war verbunden mit der Einigung Europas. Und die Länder in Mittel- und Osteuropa teilten so manche Erfahrungen der Ostdeutschen. Auch sie mussten eine immense Transformation bewältigen, aber als Gesamtstaaten, was ein großer Unterschied war, denn die gesamte Bevölkerung teilte die Transformationserfahrung. Ein weiterer Unterschied: Ostdeutschland gehörte als Teil Deutschlands sofort nach der Wiedervereinigung zur Europäischen Gemeinschaft, die wenig später zur Europäischen Union wurde. Die Länder in Mittel- und Osteuropa mussten darauf bis 2004 oder noch länger warten. Die Aufnahme in die EU war ein wichtiges Ziel ihres eigenen Transformationsprozesses. So können diese Länder eine eigene Perspektive in den Austausch einbringen. Auch dies kann bei der Gestaltung aktueller und künftiger Transformationen helfen – in Deutschland und europaweit.
Transformationserfahrungen sind vielschichtig. Sie können schmerzhaft sein, aber sie sind auch mit der Ansammlung von Know-how, Erfolgserlebnissen und der Entwicklung von Selbstbewusstsein verbunden. Das kann uns helfen, laufende und anstehende Prozesse zu gestalten, die uns in ganz Deutschland beschäftigen. Themen wie Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende, Kohleausstieg und digitale Transformation erzeugen allerdings auch neue Unsicherheiten. Darüber sind eine kritische Auseinandersetzung und gesellschaftliche Verständigung notwendig. Alles Aufgaben, denen sich das Zentrum gewiss widmen wird.
Zu seiner Realisierung werden wir in Sachsen-Anhalt unseren Beitrag leisten. So haben wir gegenüber dem Bund und der Jury mehrfach die bestmögliche Unterstützung und Kooperation Sachsen-Anhalts insbesondere in kulturellen und wissenschaftlichen Belangen zugesichert. Dies beinhaltet die Bereitschaft des Landes, die rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen für gemeinsame Berufungen – wie die Leitung des wissenschaftlichen Bereichs – zu schaffen. Wir werden alle für die nachhaltige Einbindung des Zentrums in unsere Wissenschaftslandschaft erforderlichen Professuren einrichten sowie in enger Abstimmung mit dem Zentrum gemeinsame Berufungsverfahren durchführen.
Zudem stehe ich bereits im Austausch mit meinen Kollegen aus anderen Bundesländern, die unter anderem die Gründung eines wissenschaftlichen Beirates mit Professoren aus ihren Ländern angeregt haben. Sachsen-Anhalt steht dem Ausbau der länderübergreifenden Kooperationen im wissenschaftlichen Bereich ausgesprochen offen gegenüber. Zunächst gilt es jedoch, die Vorstellungen und Vorgaben des Bundes als Projektverantwortlichem abzuwarten.
Auch die Stadt Halle steht bereits im engen Austausch mit dem Bund. Gegenwärtig geht es um das Herstellen konkreter Kontakte auf den jeweiligen Arbeitsebenen. Erste Gespräche wurden bereits am Mittwoch letzter Woche geführt. Mit dem sofort verfügbaren Baufeld am Riebeckplatz inmitten der Stadt, der hervorragenden Verkehrsanbindung und dem Know-how Halles im Bereich Stadtentwicklung, Wissenschaft und Digitalisierung wird es hier gelingen eine einzigartige Einrichtung zu schaffen, die für Deutschland und Europa Ausstrahlungskraft gewinnt.
Ich bin mir sicher, das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation ist in Halle nicht nur am richtigen Ort, sondern auch in guten Händen. Ich wünsche mir, dass es ein Ort der Forschung und des wissenschaftlichen Austausches wird, aber ebenso auch einen regen Besucherzuspruch aus Ost wie West erfährt. Die Bürgerinnen und Bürger sollen hier die Chance erhalten, sich über ein sehr spannendes Kapitel deutscher und europäischer Geschichte zu informieren. Als ein Ort der Begegnung kann das Zentrum so ein Ort des Zusammenwachsens Deutschlands wie Europas sein.
Text: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle
Foto: Dr. Reiner Haseloff © Steffen Boettcher