Reisebranche: Kaum Erholung in Sicht

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Heute im Bundestag:

Wirtschaft/Anhörung

Berlin: (hib/EMU) Schulden, FachkrĂ€ftemangel, schlechte Perspektiven: In einer öffentlichen Anhörung des Tourismusausschusses ist deutlich geworden, unter welcher Belastung die Vertreterinnen und Vertreter und die Angestellten der Reise-, Hotel- und Gastronomiebranche zwei Jahre nach dem Start der Corona-Pandemie immer noch stehen. Die von den Fraktionen geladenen sieben SachverstĂ€ndigen bedankten sich zwar bei der Bundesregierung fĂŒr die Corona-Hilfen, beklagten aber noch immer große Belastungen, Personalmangel und Ungleichbehandlung.

Matthias Ganter, Hotelier unter anderem im Romantik Jugendstilhotel Bellevue, fĂŒhrte aus, dass es immer schwieriger werde, Auszubildende aus Deutschland fĂŒr die Ausbildung im Hotel- und Gastrogewerbe zu gewinnen. Es gebe zwar viele Partnerprojekte im Ausland, unter anderem in Indonesien oder Madagaskar, die auch zu erfolgreichen AbschlĂŒssen fĂŒhrten, aber deutsche Jugendliche seien fĂŒr eine Ausbildung kaum zu finden. „Die jungen Leute sind heute nicht mehr so belastbar“, sagte Ganter, „und die AusbildungsstĂ€tten mĂŒssen viele Benefits bieten, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.“ Mit einer Kampagne in den sozialen Medien sollen nun gezielt junge Menschen angesprochen werden, an Schulen werde schon lange mit Praktika geworben.

Welche fatalen Auswirkungen der Personal- und FachkrĂ€ftemangel haben kann, machte Jens Michow, PrĂ€sident und GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, deutlich: Aus einem Hotelzimmer in Frankfurt zugeschaltet berichtete er, dass er just eine lange geplante Veranstaltung in der Frankfurter Festhalle habe absagen mĂŒssen. Es sei schlicht unmöglich, ohne Personal und Material eine Veranstaltung zu organisieren. „Wir haben schon improvisiert und abgespeckt ohne Ende, aber es reicht nicht“, sagte Michow und nannte die Situation der Veranstaltungsbranche „desaströs“. Er forderte ein Sonderhilfsprogramm fĂŒr das kommende halbe Jahr. Ohne einen finanziellen Rettungsschirm die Saison im Winter und FrĂŒhling 2022/2023 zu planen, zudem unter der BefĂŒrchtung einer erneut aufflammenden Corona-Pandemie sei fĂŒr die Veranstalter „wirtschaftliches Harakiri“, so Michow.

FĂŒr den Bundesverband unabhĂ€ngiger selbststĂ€ndiger ReisebĂŒros kritisierte die Vorsitzende Marija Linnhoff die fehlende Weitsicht von Politik und der Flugbranche. Man habe die ReisebĂŒros mit sehr viel Belastungen alleine gelassen. So hĂ€tten Airlines FlĂŒge verkauft, von denen sie wissen konnten, dass sie wegen Personalmangels ausfallen wĂŒrden. „Es fehlte an Weitsicht“, sagte Linnhoff im Ausschuss, „ich kann nicht verstehen, dass man da nicht prĂ€ventiv tĂ€tig wurde. Die Zeche haben dann die Verbraucher bezahlt und die ReisebĂŒros, die mit den RĂŒckerstattungen alleine gelassen wurden.“ Sie bedankte sich bei den Abgeordneten fĂŒr die finanziellen Hilfen wĂ€hrend der Pandemie: „Viele ReisebĂŒros sind jetzt wieder bei 80 Prozent des Vorkrisenniveaus.“ Doch sie appellierte auch an die Politik, zukĂŒnftig nicht mehr ĂŒber die Medien massiv vor Reisen zu warnen, dies habe einen immensen Schaden verursacht.

Dem schloss sich auch Pascal Zahn an, GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Olimar Reisen Vertriebs GmbH. Die Touristik kenne zwar Krisen, sagte er. Aber die Pandemie habe die Reiseveranstalter in große BedrĂ€ngnis gebracht. Da so viele Reisen storniert wurden, mussten die Veranstalter Geld, das schon bei den Airlines und Hotels war, aus eigener Tasche innerhalb von 14 Tagen zurĂŒckerstatten. Er hoffe deshalb auch sehr darauf, dass es in Zukunft nicht mehr zu EinschrĂ€nkungen kommt wie in den Jahren 2020 und 2021, als nach seiner Aussage Deutschland als einziges Land der EU Portugal zum Virusvariantengebiet erklĂ€rt hatte.

Michael Buller, Sprecher des AktionsbĂŒndnisses Tourismusvielfalt und Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb fand, dass die Corona-Hilfen richtig und wichtig waren, aber nicht vollumfĂ€nglich. „Es gab viele LĂŒcken. Die Branche ist geschwĂ€cht in ein neues Wirtschaftsjahr gegangen“, sagte Buller. Es brĂ€uchte drei solcher Jahre wie dieses Jahr, damit man wieder auf ein stabiles Niveau gelange. Man kalkuliere mit Preissteigerungen von 15 bis 20 Prozent. „Das ist alles Gift, die Branche geschwĂ€cht.“ Seine Prognose fĂŒr das kommende Jahr lautete deshalb auch: „Die Situation ist fragil, wir sind bei weitem nicht ĂŒber den Berg.“

Wie fragil, das brachte Dirk Iserlohe, CEO der HONESTIS AG und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Dorint GmbH, deutlich zum Ausdruck: „Wir großen MittelstĂ€ndler stehen vor dem Nichts.“ Er beklagte die Ungleichbehandlung zwischen Einzelhoteliers und HĂ€usern im Verbund wie in seinem Fall. Man habe nur 45 Prozent Schadensersatz erhalten, im Gegensatz zu Einzelunternehmer, die 85 Prozent bekommen hĂ€tten. In den kommenden zwei Jahren wĂŒrden wegen deshalb nötigen Sparmaßnahmen in seinem Verbund 11.000 bis 17.000 Angestellte ihren Job verlieren. Er appelliert an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (BĂŒndnis 90/Die GrĂŒnen), die Obergrenze beim Schadensersatz von 40 Millionen aufzuheben: „Wir werden durch diese willkĂŒrliche Obergrenze, die von Herrn Habecks VorgĂ€nger Peter Altmaier festgelegt wurde, massiv benachteiligt.“

FĂŒr die Angestellten im Gastgewerbe forderte Christoph Schink, Referatsleiter in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-GaststĂ€tten, ein Mindestkurzarbeitergeld von 1200 Euro bei Vollzeit. Die Angestellten im Gastro- und Gastgewerbe mĂŒssten auch in der Krise angemessen bezahlt werden, „damit nicht noch mehr Menschen die Branche verlassen“, so Schink. Er zitiert eine Umfrage, die ergab, dass sich der Personalmangel selbst verstĂ€rkt: „Die Menschen haben angegeben, den Job verlassen zu wollen, weil die Arbeitsbelastung durch den Personalmangel nicht mehr auszuhalten ist.“ Wo vorher eine Person den Job von zweien gemacht habe, mache sie nun den Job von dreien. „Das ist auf Dauer nicht durchzuhalten“, sagte Schink.