Hessischer Verfassungsschutz: Gefahr durch extremistische Aussteiger-PlÀne
Nach Recherchen des ARD Politikmagazins „Report Mainz wollen Teile der Corona-Leugner-Szene groĂe GrundstĂŒcke kaufen, um sich von der Gesellschaft abzukapseln und unabhĂ€ngig zu machen. Dabei geht es unter anderem um PlĂ€ne zum gemeinsamen Wohnen und zur eigenen Lebens- und Energieversorgung. Dem ARD Politikmagazin sind zwei konkrete Projekte in NRW und Hessen bekannt.
NRW: Siedlung fĂŒr 1,6 Millionen Euro gekauft
Demnach haben mutmaĂliche AnhĂ€nger der Corona-Protest-Szene in Nordrhein-Westfalen eine 2,1-Hektar groĂe Wohnsiedlung gekauft, fĂŒr 1,6 Millionen Euro. Nach eigenen Angaben leben dort mehr als 20 Menschen und haben dafĂŒr eine Genossenschaft gegrĂŒndet. Auf dem Socialmedia-Kanal Telegram suchen sie derzeit nach Mitstreitern und veranstalten regelmĂ€Ăig Besichtigungen fĂŒr Interessierte. Nach Recherchen des ARD Politikmagazins werben sie auf diesen Treffen fĂŒr die Genossenschaft mit einem eindeutigen Bezug zur Pandemie, sprechen vom angeblichen „Corona-Wahnsinn“. Mit der Genossenschaft wolle man Raum fĂŒr eigene Regeln schaffen, illegale Veranstaltungen ermöglichen. AuĂerdem plane man eine eigene Schule, ein Gesundheitszentrum, wo die Impfung keine Rolle spiele, und denke ĂŒber eine eigene WĂ€hrung nach.
Hessen: Kauf einer ehemaligen Kaserne geplant
Bei einem weiteren Projekt in Hessen geht es um eine ehemalige Kaserne. „Report Mainz“ hat Mitte Mai das GrĂŒndungstreffen dieser Genossenschaft dokumentiert. Die Teilnehmer der GrĂŒndungsveranstaltung stammen aus der Corona-Protestszene in Hessen und aus dem Umfeld der Partei „Die Basis“. Die Initiatoren werben auf Demonstrationen und im Internet damit, sich vom Rest der Gesellschaft autark und unabhĂ€ngig machen zu wollen. Die Verantwortlichen beider Projekte wollten sich gegenĂŒber „Report Mainz“ nicht Ă€uĂern. Auch der Landesverband der Partei „Die Basis“ lieĂ schriftliche Fragen unbeantwortet.
Verfassungsschutz sieht Parallelen zu rechtsextremen Projekten
Behörden in NRW und Hessen bestĂ€tigen die Recherchen von „Report Mainz“. Das hessische Landesamt fĂŒr Verfassungsschutz teilte mit, es seien vereinzelt Hinweise auf Vorhaben bekannt, in denen Gegner der staatlichen Corona-MaĂnahmen autarke Lebens- und Versorgungsgemeinschaften grĂŒnden wollten. Die Behörde zieht in ihrer Stellungnahme Parallelen zu Teilen des rechtsextremistischen Spektrums sowie der Szene der sogenannten ReichsbĂŒrger. Man sehe in extremistischen Aussteiger-Projekten eine Gefahr, „weil diese mit der ideologischen Abschottung des involvierten Personenkreises einhergehen und somit individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse befördern könne.“ Das Bundesinnenministerium antwortete nur allgemein, man habe die Lage im Blick. Experten, denen „Report Mainz“ die Recherchen vorgelegt hat, warnen vor einer weiteren Radikalisierung der Protestszene.
Politikwissenschaftler Rathje: „Abschottung gegen jede Form des Widerspruchs“
Politikwissenschaftler Jan Rathje, der fĂŒr das Berliner Forschungsinstitut CEMAS die Szene beobachtet, erklĂ€rte im Interview mit dem ARD Politikmagazin: „Der Staat ist gefordert, das Ganze als Problem wahrzunehmen und anzuerkennen.“ Man wisse bereits, wohin die Radikalisierung innerhalb dieses Milieus fĂŒhren könne. „Wir sind in einer Situation, wo Gewalttaten schon stattgefunden haben.“ Die Aussteiger-Projekte funktionierten wie ein VerstĂ€rker. Denn mit den Projekten versuchten sich deren AnhĂ€nger gegen jede Form des Widerspruchs abzuschotten.
Demokratieforscher Kiess: „Ablehnung des Systems“
Demokratieforscher Johannes Kiess, stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts fĂŒr Demokratieforschung an der UniversitĂ€t Leipzig, sieht in den PlĂ€nen ein Beispiel fĂŒr die VerĂ€nderung der Corona-Protest-Szene. Der Szene gehe es nicht mehr darum, mitzubestimmen, wie man bestimmte MaĂnahmen etwa gegen eine weltweite Pandemie in Kompromissen löse, so Kiess gegenĂŒber „Report Mainz“. „Das gesamte System, die gesamte Art der Aushandlung wird abgelehnt und eine eigene kleine, heile Welt aufgebaut“, so Kiess.
Foto: Fritz Frey moderiert das investigative Politmagazin âReport Mainzâ. © SWR