Hamburg (ots) – „Wir brauchen eine europĂ€ische Armee“, sagte der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze im GesprĂ€ch mit dem stern. „Wir wissen jetzt, dass Russland ein unberechenbarer und aggressiver Nachbar ist, und sollten uns entsprechend aufstellen.“ Dazu gehöre, die AbhĂ€ngigkeit von russischen Gaslieferungen zu beenden, aber auch die Bildung gemeinsamer StreitkrĂ€fte. Hierzu seien keine zusĂ€tzliche Investitionen nötig, meint der Professor der New Yorker Columbia University.
„Europa sollte keinen einzigen Cent zusĂ€tzlich fĂŒr seine Verteidigung zahlen. Alle Mitgliedstaaten der EU zusammen geben mehr als 200 Milliarden Euro fĂŒr ihre Verteidigung aus, das mĂŒsste eigentlich die dritt- oder viertmĂ€chtigste Armee der Welt ergeben“ rechnete er vor. Wenn Deutschland jetzt 100 Milliarden Euro zusĂ€tzlich fĂŒr das MilitĂ€r aufbringe, sei dies das EingestĂ€ndnis, auch in Zukunft schlecht mit den Mitteln umgehen zu wollen. Tooze weiter: „Es ist eine AbsurditĂ€t, dass Russland mit einem Budget von 50 bis 70 Milliarden Dollar eine Bedrohung fĂŒr Europa darstellt.“ Dringend warnte Tooze davor, sich auf die USA zu verlassen. „Ich fĂŒrchte, Europa muss seine Dinge allein regeln und dafĂŒr die eigenen Interessen definieren“, so Tooze.
„Wir hatten jetzt eine kurze Zeit der NormalitĂ€t, aber die Krise der amerikanischen Demokratie, die 2020 entbrannte, flammt nun wieder auf.“ Mit UnverstĂ€ndnis reagierte Tooze auf den Wunsch der Deutschen nach der SolidaritĂ€t der europĂ€ischen Partner im Streit um die Gaslieferungen. „Als Realist muss ich sehen, was ich in der spanischen, portugiesischen oder italienischen Politik lostrete, wenn ich als Deutscher angesichts des Zusammenbruchs einer missratenen Energiepolitik als Erstes SolidaritĂ€t einfordere“, sagte er. „Das ist doch genau die Steilvorlage fĂŒr alle Populisten, die Deutschland gerade nicht will.“