Der für Staatsschutzsachen zuständige 2. Strafsenat des Kammergerichts Berlin hat heute den 56-Jährigen russischen Staatsangehörigen Vadim K. alias Vadim S. wegen Mordes und wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und daneben die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt.
Der Angeklagte habe den als Asylbewerber in Berlin lebenden Tornike K., einen georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung, der während des Zweiten Tschetschenienkrieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt habe, am 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage „Kleiner Tiergarten“ heimtückisch erschossen. Der Angeklagte sei Teil des staatlichen Sicherheitsapparates gewesen und habe von einer staatlichen Stelle innerhalb der Regierung der Russischen Föderation den Auftrag erhalten, den ehemaligen Tschetschenien-Kämpfer Tornike K. wegen dessen ablehnender Haltung zum russischen Zentralstaat sowie dessen Rolle im Zweiten Tschetschenienkrieg in Berlin zu liquidieren. Der Vorsitzende des Senats sprach in seiner heutigen Urteilsbegründung von „Staatsterrorismus“.
Nach den Feststellungen des Senats reiste der Angeklagte im August 2019 als Tourist getarnt über Paris und Warschau nach Berlin. Dabei habe er sich als Bauingenieur aus Sankt Petersburg ausgegeben und einen auf die Alias-Personalien Vadim S. ausgestellten, echten Pass mit sich geführt. In der seit Oktober 2020 andauernden Hauptverhandlung hatte der Angeklagte daran festgehalten, Vadim S. zu sein und einen Vadim K. nicht zu kennen. Der Senat kam jedoch nach 55 Verhandlungstagen zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Personalie Vadim S. um eine sorgfältig durch den russischen Staat vorbereitete Legende gehandelt habe und der Angeklagte tatsächlich Vadim K. sei. Der Angeklagte sei im Auftrag staatlicher Stellen nur zu dem Zweck nach Berlin gereist, um sein Opfer hier zu töten. Am Tattag habe er sich dem Geschädigten von hinten mit dem Fahrrad genähert, als dieser auf dem Weg zum Freitagsgebet gegen Mittag den Kleinen Tiergarten durchquert habe. Vadim K. habe von hinten zwei Mal mit einer mit einem Schalldämpfer ausgerüsteten Pistole vom Typ „Glock 26“ auf Tornike K. geschossen, dieser sei zu Boden gegangen. Anschließend habe der Angeklagte noch einen gezielten Schuss auf den Hinterkopf des bereits reglos am Boden liegenden Geschädigten abgegeben. Anschließend sei Vadim K. auf seinem Fahrrad geflüchtet. Am Ufer der nahegelegenen Spree habe er dann seine Kleidung gewechselt und sein Aussehen verändert; sein Fahrrad, die Tatwaffe sowie andere Gegenstände habe er ins Wasser geworfen. Bei dem Versuch, mit einem Elektroroller zu fliehen, war er festgenommen worden. Zwei aufmerksame Zeugen, denen sein Verhalten verdächtig erschienen war, hatten die Polizei gerufen.
Der Senat hörte in der Hauptverhandlung insgesamt 47 Zeugen – darunter auch zwei russische Investigativjournalisten sowie der ehemalige Schwager von Vadim K. – und 10 Sachverständige. Darüber hinaus wertete das Gericht zahlreiche Dokumente, Videos, Fotos u.a. aus. Dabei spielten auch viele Ermittlungsergebnisse eine Rolle, die im Rahmen von Rechtshilfeersuchen zusammengetragen worden waren. So hatten u.a. Estland, Frankreich, Georgien, Lettland, Niederlande, Österreich, Polen, Russische Föderation, Slowakei, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine, USA und Zypern Erkenntnisse beigesteuert.
In seiner Urteilsbegründung führte der Vorsitzende aus, dass insbesondere DNA- und Schmauchspuren an der in der Spree treibenden Kleidung den Angeklagten als Täter überführt hätten. Darüber hinaus seien eine Vielzahl von Beweismitteln aus der Spree geborgen worden, darunter u.a. die Tatwaffe, mit welcher der Geschädigte getötet worden sei. Es habe vor diesem Hintergrund kein Zweifel daran bestanden, dass der Angeklagte Tornike K. heimtückisch getötet habe.
Der Angeklagte habe darüber hinaus aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) gehandelt, so der Vorsitzende des Senats weiter. Dem staatlichen Liquidierungsauftrag habe ein politisches Motiv zugrunde gelegen. Der Geschädigte habe als politischer Gegner hier Schutz gesucht und Asyl beantragt, um in Deutschland ein zurückgezogenes Leben zu führen. Kämpferisch aktiv sei der Geschädigte schon seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Damit bleibe als Motiv für den Tötungsauftrag allein noch Rache. Die Überzeugung vom staatlichen Tötungsauftrag stützte der Senat im Wesentlichen auf die erst kurz vor der Tat erfolgte, bewusste und zielgerichtete Legendierung des Vadim K. durch staatliche Stellen, die Motivlage sowie die Äußerungen und das Verhalten staatlicher Stellen der Russischen Föderation nach der Tat.
Neben der Verhängung der bei Mord gesetzlich vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe stellte der Senat die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Dies bedeutet, dass der Angeklagte nicht nach der Verbüßung der Mindesthaftdauer von 15 Jahren auf Bewährung entlassen werden könnte. Vielmehr würde erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden, wie viele Jahre der Angeklagte tatsächlich verbüßen muss, bevor die Aussetzung seiner Reststrafe zur Bewährung überhaupt geprüft werden kann. Dabei spielen grundsätzlich auch Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Rolle.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann mit dem Rechtsmittel der Revision angefochten werden.
Der Angeklagte bleibt weiter in Untersuchungshaft.
Quelle: Pressemitteilung des KG Nr. 42/2021 v. 15.12.2021