Der vor wenigen Wochen in seinem Amt bestätigte Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Foto) sieht Deutschland bei der Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge an Grenzen angekommen. „Wir könnten sehr viel mehr Menschen aus der Ukraine aufnehmen, wenn wir die Standards absenken. Solange aber die Regelung gilt, dass alle einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben wie jedes Kind, das hier geboren wurde, und Schulbildung wie Wohnung bekommen sollen, muss ich sagen, da sind wir an Grenzen angekommen, wo das nicht mehr leistbar ist“, so Palmer im Fernsehsender phoenix. Weder könne er zusätzliche Erzieher rekrutieren noch Wohnraum zur Verfügung stellen, weshalb man die Bereitstellung von Turnhallen, Zeltstädten und die Selbstbetreuung in Spielgruppen diskutieren müsse. „Davor sich zu drücken und so zu tun, als ginge es mit den jetzigen Standards, beliebig viele aufzunehmen, finde ich nicht redlich, weil man sich dann vor den Problemen, die von uns auf kommunaler Ebene gelöst werden müssen, herumdrückt“, kritisierte Palmer die Vorgehensweise von Bund und Ländern.
Dass die ukrainischen Flüchtlinge dem deutschen Arbeitsmarkt kurzfristig weiterhelfen könnten, bejahte Palmer. „Die ukrainischen Menschen sind sicherlich viel qualifizierter und geeigneter für unseren Arbeitsmarkt, als die Menschen, die vor sieben Jahren zu uns gekommen sind.“ Doch dürfe man nicht den Fehler machen, dauerhaft mit den Ukrainern zu planen, sondern müsse es ihnen ermöglichen, in ihr Heimatland zurückzukehren. Alles andere sei „gegenüber der Ukraine recht unsolidarisch“. Bei den Flüchtlingen, die schon länger in Deutschland seien, forderte Palmer mehr Entschlossenheit der deutschen Behörden. „Wir müssen mehr verlangen, weil diese Menschen sich daran gewöhnt haben, dass nicht viel von ihnen verlangt wird. Wer nämlich etwas verlangt, ist Rassist, und lässt es schnell bleiben.“ Palmer sprach sich beim Staatsbürgerschaftsrecht für einen doppelten Spurwechsel aus. „Gebt allen, die hier arbeiten, unsere Sprache leidlich lernen und nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen, einen Aufenthaltstitel und nach fünf Jahren die Staatsbürgerschaft.“ Bei denen, die dies forderten, fehle es ihm aber an anderer Stelle oft an harten Maßnahmen gegen diejenigen, die das Gastrecht ausnutzten. „Es braucht mehr Konsequenz bei der Abschiebung von Straftätern und Menschen, die sich nicht in unsere Gesellschaft einfügen – und die gibt es bei den Asylbewerbern eben auch.“
Hinsichtlich seines schwierigen Verhältnisses zu den Bündnisgrünen, bei denen seine Mitgliedschaft derzeit ruht, sah Palmer durchaus Signale dafür, dass das Band nicht zerschnitten ist. „Ich halte Ökologie für so wichtig, dass ich auf meine Herzenspartei nicht verzichten kann, auch wenn die sich in anderen Fragen derzeit nicht in die richtige Richtung entwickelt.“ Bei Umweltfragen komme es jedoch auf die Grünen an, „deshalb will ich dabei bleiben“. Das Parteiausschlussverfahren sei der Versuch gewesen, „eine abweichende Stimme nicht mehr hören zu wollen“. Doch werde er auch künftig seine eigene Meinung laut äußern. „Das liegt mir einfach nicht, diese Anpassung um der Anpassung willen. Dafür bin ich nicht gemacht.“ Die Grünen müssten sich schon fragen, was es bedeute, wenn die Bürger seiner Stadt ihm trotz des Ausschlussverfahrens das Vertrauen ausgesprochen hätten. „Vielleicht braucht die Partei mich“, meinte Palmer.
phoenix-Presseteam
Foto (c) Boris Palmer