VOGEL-Gastbeitrag: Was die Wirtschaftspolitik der EU-Kommission nun benötigt

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Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb fĂŒr „wiwo.de“ den folgenden Gastbeitrag:

SpĂ€testens mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Putins auf die Ukraine und seinem Energiekrieg gegen Europa ist unĂŒbersehbar: Wir stehen in einem Systemwettbewerb. Auf der eine Seite Putins Russland und China unter FĂŒhrung von Xi Jinping, die ihren Schulterschluss dieser Tage einmal mehr zu Schau gestellt haben, auf der anderen Seite das Netz marktwirtschaftlicher Demokratien rund um die Welt. Neben den USA, deren Kurs mit Blick auf die PrĂ€sidentenwahl im November offen ist, ist die EuropĂ€ische Union der zentrale Knotenpunkt dieses Netzwerks. Oder sollte es jedenfalls sein.

Um dieser Rolle gerecht zu werden, muss die EuropĂ€ische Union stĂ€rker werden: Ein starker Akteur in der Außenpolitik mit wirtschaftlich starken LĂ€ndern und Unternehmen. Wer den freien Westen mit anfĂŒhren will, der muss auch bereit sein, Verantwortung zu ĂŒbernehmen. Das 21. Jahrhundert verlangt von uns, dass die EuropĂ€ische Union nicht von einer Veto-Stimme mundtot und handlungsunfĂ€hig gemacht werden kann. Das Einstimmigkeitsprinzip bei großen außenpolitischen Fragen muss daher fallen. Viktor Orban darf beispielsweise nicht lĂ€nger als einziger Regierungschef die Hilfen einer ganzen Staatengemeinschaft fĂŒr die Ukraine blockieren können. Denn in einer Welt mit Putin und Xi haben wir nur als EuropĂ€er gemeinsame die Kraft auf Augenhöhe zu handeln.

Die EuropĂ€ische Union ist nicht nur Friedens-, sondern auch Freiheitsgarant. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit sind ihre unverhandelbare Grundlage. Europa und die markwirtschaftlichen Demokratien sind nicht dekadent, sondern frei – deshalb machen sie Autokraten auch so viel Angst. Der Binnenmarkt ist dabei das Herz, das die EuropĂ€ische Union wirtschaftlich belebt. Ihre WettbewerbsfĂ€higkeit ist die Kraft, mit der die EU international auftreten kann.

Die letzten fĂŒnf Jahre hat Ursula von der Leyen die EuropĂ€ische Union alleine auf ihren Green Deal ausgerichtet. Wirtschaftspolitisch hat das die EU nicht in den grĂŒnen Bereich gefĂŒhrt. Die Einhaltung der Pariser Klimaziele ist zwingend, aber dafĂŒr muss die EU sich vor allem darauf konzentrieren, dass der dichte Deckel des Emissionszertifikatehandels scharf gestellt wird – und das auch in den kommenden Jahren bleibt. DarĂŒber hinaus hat die aktuelle EU-Kommission leider vor allem BĂŒrokratie produziert, die oft gut gemeint aber selten gut gemacht war. Das muss sich grundlegend Ă€ndern. Die Politik der EU muss nun auf Wachstumsziele ausgerichtet werden. Es ist Zeit fĂŒr fĂŒnf KursĂ€nderungen fĂŒr mehr Wachstum und WettbewerbsfĂ€higkeit:

1. Freihandelsabkommen abschließen

Damit die markwirtschaftlichen Demokratien im Systemwettbewerb eng zusammenstehen, mĂŒssen sie wirtschaftlich enger zusammenarbeiten. Wir brauchen mehr freien Handel in der freien Welt. Dass im letzten Jahr die Freihandels-Verhandlungen der EU mit Australien vorerst gescheitert sind, war ein fatales Signal. FĂŒr wen sollte die EU ein attraktiver Handelspartner sein, wenn nicht einmal mit einer Demokratie mit gleichen Werten wie Australien der Freihandel gelingt? Hier muss es eine neue PrioritĂ€tensetzung und einen neuen Pragmatismus geben. Zu Verhandlungen auf Augenhöhe passt kein erhobener Zeigefinger, der die eigenen Standards in allen anderen Staaten setzen will. Die nĂ€chste Kommission muss sich daran messen lassen, wie viele Freihandelsabkommen sie abschließt. Mehr als ein Abkommen pro Jahr – das ist die Ambition, die Europa braucht!

2. BĂŒrokratie abbauen

Statt als Wachstumsbeschleuniger spĂŒren zahllose Unternehmen die EU vor allem als bĂŒrokratische Bremse. Insbesondere Berichtspflichten, die sich aus der Umsetzung von EU-Vorgaben zu Nachhaltigkeit bis Entgelttransparenz ergeben, lĂ€hmen die Wirtschaft. Die aktuelle Kommission selbst weiß nicht einmal mehr, wie viel BĂŒrokratie sie geschaffen hat. Die Aufgabe der neuen Kommission ist es, diesen Dschungel zu lichten. Bevor sie ĂŒberhaupt einen neuen Regulierungsvorschlag vorlegt, sollte sie zunĂ€chst die RĂŒcknahme von fĂŒnf bĂŒrokratischen Richtlinien oder Verordnungen auf den Weg bringen.

3. Unternehmertum und SelbststĂ€ndige unterstĂŒtzen

Dass die Aufgabe des Mittelstandsbeauftragten der EU nur als parteipolitischer Versorgungsposten genutzt und am Ende gar nicht besetzt wurde, zeigt unter dem Brennglas den Stellenwert, den Ursula von der Leyen dem Mittelstand eingerĂ€umt hat. Das muss sich Ă€ndern: Nicht nur mit einer Aufwertung zu einem echten Mittelstandskommissar, sondern auch mit einer mittelstandsfreundlichen Politik, die kleine und mittlere Unternehmen in den Blick nimmt und entlastet. Der Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen muss dafĂŒr neu definiert und an die LebensrealitĂ€t angepasst werden. Ebenso braucht es eine Politik fĂŒr SelbststĂ€ndige. Die Steine, die SelbststĂ€ndigen mit der Plattformarbeits-Richtlinie in den Weg geworfen wurden, mĂŒssen durch eine neue Initiative fĂŒr SelbststĂ€ndigkeit und Unternehmertum schleunigst beseitigt werden.

4. Binnenmarkt stÀrken

Der Binnenmarkt muss weiter gestĂ€rkt werden. Wenn die EU zurecht international, zum Beispiel gegenĂŒber China, fairen Wettbewerb einfordert, dann muss sie auch im Inneren fĂŒr einen fairen Binnenmarkt sorgen. Dass Unternehmen aus anderen EU-Staaten im heimischen Markt durch nationale Gesetze, wie konkret in Ungarn, benachteiligt werden, darf nicht hingenommen werden. Fragen der Rechtsstaatlichkeit und des Binnenmarktes fallen hier zusammen – und bei beiden darf es keinen Rabatt geben. Auf der anderen Seite muss auch im Interesse des Binnenmarktes Schluss sein mit dem sogenannten Gold Plating – dem Übertreffen von EU-Standards mit nationalen Zusatzauflagen. Die umfassende StĂ€rkung des Binnenmarktes muss wieder ganz oben auf die Agenda – einst die ureigene Aufgabe jeder Kommission.

5. Arbeiten erleichtern

FĂŒr die Menschen muss die EU wirtschaftliches Vorankommen spĂŒrbar leichter machen. Die BĂŒrokratisierung des GrenzĂŒbertritts durch die A1-Bescheinigung ist ein Beispiel fĂŒr das Gegenteil. Unter anderem bei der Entsenderichtlinie muss die Kommission durch konkrete VorschlĂ€ge fĂŒr Entlastung sorgen. Auch bei anderen Themen wie der Anerkennung von BerufsabschlĂŒssen kann die EU fĂŒr mehr Tempo sorgen und so dem FachkrĂ€ftemangel entgegenwirken. Das erleichtert nicht nur das Leben der Menschen und die Arbeit von Unternehmen, spĂŒrbare Entlastungen sind auch ein gutes Mittel gegen EU-Verdruss.

Foto: Johannes Vogel © Laurence Chaperon