Experte: Zahl der Deepfake-Videos explodiert, Millionen Frauen betroffen / „Vollbild“ vom SWR: Online ab 29.11.2022 ab 17 Uhr auf www.youtube.com/vollbild und in der ARD Mediathek
Mainz/Berlin (ots) – Immer hĂ€ufiger werden Frauen in Deutschland Opfer von gefĂ€lschten Sexvideos und -bildern im Internet. Dabei handelt es sich um so genannte Deepfakes, also manipulierte pornografische Bilder und Videos, in die das Gesicht der Betroffenen mithilfe von KĂŒnstlicher Intelligenz (KI) montiert wird. Das zeigen Recherchen des investigativen SWR-Rechercheformats „Vollbild“ (Video online ab 29.11.2022, 17 Uhr auf YouTube und in der ARD Mediathek). Möglich macht das die rasante Weiterentwicklung der KI-Technologie. Deepfakes lassen sich heutzutage mit frei verfĂŒgbaren Apps oder Software schon in wenigen Minuten erstellen. Wie „Vollbild“-Recherchen zeigen, gibt es eigene Foren im Internet, in denen massenhaft Bilder auch von deutschen MĂ€dchen und Frauen hochgeladen werden, die bereits gedeepfaket wurden oder offenbar gedeepfaket werden sollen.
Experte: Millionen von Frauen von Deepfakes betroffen
Laut KI-Experte Henry Ajder ist die Zahl der Deepfakes im Internet in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Er forscht bereits seit Jahren zu Deepfakes. ZĂ€hlte der Forscher 2018 noch etwa 14.000 im Netz kursierende Deepfake-Pornovideos, lasse sich heute keine Zahl mehr nennen, sagte Henry Ajder im Interview mit „Vollbild“: „Wir sprechen hier wahrscheinlich von Milliarden von Deepfakes, die mittlerweile erstellt wurden“, sagt der Experte. „Wir sprechen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Bildern ĂŒber Millionen von Frauen, die jetzt ins Visier genommen werden. Wir können zwar keine Statistiken vorlegen, aber doch mit Sicherheit sagen, dass diese Technologie regelrecht explodiert ist -auch in Hinblick auf ihre bösartige Verwendung.“
Nicht mehr nur prominente Frauen werden Opfer von Deepfakes
In der Vergangenheit wurden vor allem gefĂ€lschte Sexvideos und Nacktbilder von prominenten Frauen im Internet verbreitet. Auch heute gibt es Internetforen, in denen massenhaft Promi-Deepfakes geteilt werden. Bei „Vollbild“-Recherchen fanden sich unter anderem Deepfakes von Politikerinnen, aber auch von zahlreichen SĂ€ngerinnen, Moderatorinnen und YouTuberinnen. Die Influencerin „Mrs. Bella“ wurde von „Vollbild“ auf ein von ihr im Netz kursierendes Deepfake-Pornovideo aufmerksam gemacht. Sie will nun juristisch gegen die Verbreitung des Videos vorgehen. „FrĂŒher waren Prominente betroffen, Personen des öffentlichen Lebens. Jetzt kann es jeden treffen. Wir sind Freiwild“, sagt die britische Buchautorin und Aktivistin Kate Isaacs im „Vollbild“-Interview. Sie hat in GroĂbritannien die Initiative #NotYourPorn gegrĂŒndet, um auf digitale Gewalt aufmerksam zu machen. Inzwischen plant die britische Regierung ein Gesetz, das Deepfake-Pornovideos unter Strafe stellen soll. So weit ist die Bundesregierung offenbar noch nicht: Das Bundesjustizministerium erklĂ€rt auf „Vollbild“-Anfrage, demnĂ€chst solle ein Eckpunktepapier fĂŒr ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgelegt werden. „Ziel ist es, den Rechtsschutz fĂŒr Betroffene digitaler Gewalt zu verbessern“, so eine Sprecherin.
LandeskriminalÀmter erfassen keine Zahlen zu Deepfakes
Wie eine Recherche von „Vollbild“ beim BKA und den LandeskriminalĂ€mtern zeigt, werden Deepfakes in Deutschland bislang behördlich nicht erfasst, weil sie keinen eigenen Tatbestand darstellen. So teilt das LKA Bayern mit: „Die Rechtslage zu Deepfakes ist aufgrund des neuen PhĂ€nomens noch nicht eindeutig. Bei der Herstellung und Verbreitung von tĂ€uschend echt wirkendem Bild- und Videomaterial von anderen Personen mittels Deepfake-Software können verschiedene Straftaten verwirklicht werden.“ In Frage kommen z. B. VerstöĂe gegen das Kunsturheberrechtsgesetz, Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten oder Beleidigung.
TĂ€ter wollen MĂ€dchen und Frauen aus ihrem privaten Umfeld erniedrigen
Im Zuge der Recherche ist es dem „Vollbild“-Team gelungen, mit TĂ€tern per Chats in Kontakt zu treten. Die Recherchen zeigen, dass zahlreiche MĂ€nner mit Deepfakes ihre pornografischen Fantasien befriedigen wollen. Einigen geht es darum, Frauen und MĂ€dchen aus ihrem privaten Umfeld zu demĂŒtigen und erniedrigen. Es gibt Bilderforen und Tauschbörsen im Internet, in denen User unzĂ€hlige Bilder von MĂ€dchen und Frauen hochladen, damit andere User sie in Pornos deepfaken. Deepfake-WĂŒnsche werden mitunter binnen eines Tages erfĂŒllt, viele User machen das kostenlos, als Hobby. Viele Frauenberatungsstellen kennen das PhĂ€nomen Deepfakes: Anna Lehrmann vom Verein „Frauen helfen Frauen“ in FĂŒrstenfeldbruck schildert im „Vollbild“-Interview, dass Deepfakes hĂ€ufig auch mit anderen Formen von Gewalt wie Erpressung oder Bedrohung einhergingen. GefĂ€lschte Sexbilder oder -videos wĂŒrden oft von MĂ€nnern als Waffe bei Beziehungsstreitigkeiten eingesetzt.
Opfer haben oft ein Leben lang mit gefÀlschten Sexvideos zu kÀmpfen
Wie langanhaltend der Schaden sein kann, den Betroffene durch Deepfakes erleiden, erklĂ€rt Josephine Ballon, RechtsanwĂ€ltin und Head of Legal bei der gemeinnĂŒtzigen Organisation „HateAid“, die Betroffene Digitaler Gewalt berĂ€t und unterstĂŒtzt. „Wenn das Bild einmal in der Ăffentlichkeit ist, dann wird es geteilt. Selbst, wenn man vielleicht eine Löschung erzielen konnte, teilen es andere vielleicht einfach weiter auf anderen Plattformen, haben es sich sogar gespeichert, um es spĂ€ter nochmal zu posten. Das kann fĂŒr Betroffene bedeuten, dass sie ein Leben lang nach ihren Bildern suchen und fĂŒr die Löschung sorgen mĂŒssen“, so Josephine Ballon.
„Vollbild“ vom SWR ist das neue investigative Recherche-Format aus der Werkstatt von „Report Mainz“ und LABO M. Alle zwei Wochen dienstags erscheint ein neues Video auf YouTube und in der ARD Mediathek.
Foto: „Vollbild“-Journalistin Filippa von Stackelberg vor zahlreichen Deepfake-Pornos (c) SWR – SĂŒdwestrundfunk