Ravensburger PolizeiprĂ€sident warnt vor Dunkelfeld bei Cyberstalking / Bayerischer Justizminister: Anti-Stalking-Regeln dringend verschĂ€rfen / „Vollbild“ vom SWR: Online ab 25. April 2023, ab 17 Uhr auf www.youtube.com/vollbild und in der ARD Mediathek
Mainz / Berlin – Stalker setzen in Deutschland zunehmend Tracker wie Apple AirTags ein, wie Recherchen des SWR-Investigativformats „Vollbild“ zeigen (Video online ab 25. April 2023, 17 Uhr auf YouTube und in der ARD Mediathek). Behörden sind auf die Herausforderung von Cyberstalking oft noch nicht vorbereitet.
Stalker verstecken Bluetooth-Tracker wie Apple AirTags im Auto, verbergen sie in Jackentaschen, nĂ€hen sie in Kleidung ein oder montieren OrtungsgerĂ€te in HaarbĂŒrsten oder Kinderspielzeug: Tracker wie AirTags & Co. werden auch in Deutschland zunehmend als Stalking-Tool missbraucht, wie Recherchen des SWR-Investigativformats „Vollbild“ bei Polizei, Staatsanwaltschaften, Beratungsstellen und FrauenhĂ€usern zeigen.
Vorkehrungen der Hersteller gegen Missbrauch reichen nicht
Neue Bluetooth-Tracker wie Apple AirTags oder Samsung Galaxy SmartTags ermöglichen es, Menschen per Smartphone ohne groĂen Aufwand auf den Meter genau aus der Ferne zu verfolgen. Herstellern wie Apple und Samsung ist die Missbrauchsgefahr mittlerweile offenbar bewusst, sie haben inzwischen einige Anti-Stalking-Features eingefĂŒhrt. Apple verweist auf Nachfrage von „Vollbild“ auf ein Statement vom Februar 2022. Der Konzern verurteile „jede bösartige Verwendung unserer Produkte auf das SchĂ€rfste“. Weiterhin heiĂt es, AirTags verfĂŒgten ĂŒber das „erste proaktive System, das auf unerwĂŒnschtes Tracking“ hinweise. Samsung sagt, dass das Unternehmen die Sicherheit seiner Kundinnen und Kunden durch zusĂ€tzliche Funktionen sicherstellen wolle, beispielsweise könne man durch die Funktion „Unknown Tag Search“ herausfinden, ob sich ein SmartTag in der NĂ€he befindet. Doch dass die Vorkehrungen der Hersteller nicht in jedem Fall reichen, um vor Trackern zu warnen, zeigen Selbstversuche von „Vollbild“.
Juristen warnen vor GesetzeslĂŒcke bei Cyberstalking
2021 wurde das Anti-Stalking-Gesetz verschĂ€rft, damit es leichter wird, Stalking und Cyberstalking zu ahnden. Die Juristinnen Lena Leffer von der Martin-Luther-UniversitĂ€t Halle-Wittenberg und Michelle Weber von der EBS-UniversitĂ€t Wiesbaden haben sich intensiv mit der Rechtslage bei Stalking mit AirTags beschĂ€ftigt und warnen im Interview mit „Vollbild“ vor einer GesetzeslĂŒcke. „Der spezifische Fall des Stalkings mit AirTags wurde nicht berĂŒcksichtigt, da der Gesetzgeber nur den Fall gesehen hat, dass ein GerĂ€t des Opfers infiltriert wird“, sagt Michelle Weber.
Bayerischer Justizminister: „Anti-Stalking-Regeln dringend nachschĂ€rfen“
Das Bundesjustizministerium sieht derzeit keinen Handlungsbedarf. Entscheidungen von Gerichten zu AirTags und vergleichbaren Produkten seien „noch nicht bekannt“, heiĂt es auf „Vollbild“-Anfrage. Sollten sich in der Praxis StrafbarkeitslĂŒcken zeigen, werde das Ministerium „etwaigen Handlungsbedarf“ prĂŒfen. Eine GesetzeslĂŒcke sieht das Bundesjustizministerium derzeit also nicht. Das bewertet das Bayerische Justizministerium ganz anders: Es drĂ€ngt darauf, dass FĂ€lle, in denen Stalker ihre Opfer mit GPS-Trackern oder Bluetooth-Trackern wie AirTags ausspĂ€hen, „rechtssicher“ erfasst werden mĂŒssten. „Die Anti-Stalking-Regeln mĂŒssen dringend weiter nachgeschĂ€rft werden“, sagt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) auf „Vollbild“-Anfrage. „Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, das Gesetz der digitalen Entwicklung anzupassen.“
Hohe Dunkelziffer bei Cyberstalking
Allein im Jahr 2022 erfasste das Bundeskriminalamt deutschlandweit 21.436 Stalking-Anzeigen. Frauen wie MĂ€nner erleben Stalking. Doch: Frauen sind deutlich hĂ€ufiger betroffen. Rund 81 Prozent der erfassten Opfer sind Frauen. Bei den TatverdĂ€chtigen ist das VerhĂ€ltnis umgekehrt, hier sind laut BKA rund 82 Prozent MĂ€nner. In Polizei-Statistiken wird der Einsatz von Trackern nicht erfasst. Stalking-Experten wie der Ravensburger PolizeiprĂ€sident Uwe StĂŒrmer weisen auf die Schwierigkeit hin, digitale Nachstellung zu ermitteln: „Ich bin mir sicher, dass es im Bereich digitaler Verfolgung, Cyberstalking, ein enormes Dunkelfeld gibt“, sagt StĂŒrmer im „Vollbild“-Interview. „Wir können oft nicht feststellen, wie es TĂ€tern gelingt, herauszufinden, zu welcher Zeit sich das Opfer an welchem Ort aufhĂ€lt.“
FrauenhÀuser und Hilfseinrichtungen schlagen Alarm
Doch Hilfseinrichtungen und FrauenhĂ€user werden zunehmend mit FĂ€llen konfrontiert, in denen Betroffene von Stalking und physischer Gewalt mit Trackern wie Apple AirTags ausgespĂ€ht werden. „Bei den Kuscheltieren fĂŒr die Kinder passen wir auf, weil wir immer wieder erleben, dass ein AirTag verbaut ist – und manchmal haben sie Plastiknasen, die aber eine Kamera sind“, beobachtet Claudia Zwiebel vom Frauenhaus in Singen. Mit Blick auf die neuen technischen Möglichkeiten beim Stalking halten Verantwortliche von FrauenhĂ€usern eigene Expertinnen und Experten fĂŒr digitale Gewalt fĂŒr notwendig. „Das Problem ist, dass die Beratungsstellen und FrauenhĂ€user oft nicht das Wissen, die Expertise und auch die KapazitĂ€ten haben, um bei digitaler Gewalt wirklich viel beraten zu können“, sagt IT-Expertin Hannah Pankow von der Initiative „Ein Team fĂŒr digitale Gewalt“.
Die ganze Recherche unter www.youtube.de/vollbild oder in der ARD Mediathek. „Vollbild“ ist das junge investigative Recherche-Format des SWR aus der Werkstatt von „Report Mainz“.
Infos auch auf:Â http://swr.li/vollbild-stalking-mit-trackern
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