Arbeit und Soziales/Anhörung
Berlin: (hib/VOM) Das Instrument des Kurzarbeitergeldes hat nach EinschĂ€tzung der Bundesagentur fĂŒr Arbeit (BA) gezeigt, dass es wirkungsvoll ist, um ArbeitsplĂ€tze zu erhalten und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die BewĂ€ltigung einer erneuten massenhaften Inanspruchnahme wĂ€re heute allerdings nicht mehr leistbar, sagte Anke Eidner von der BA am Montag in einer Anhörung des Ausschusses fĂŒr Arbeit und Soziales. Gegenstand der Anhörung war der Gesetzentwurf von SPD, BĂŒndnis 90/Die GrĂŒnen und FDP zur Anpassung der VerordnungsermĂ€chtigungen beim Kurzarbeitergeld und anderer Regelungen (20/3494), den der Bundestag am Donnerstag verabschieden will.
Der vereinfachte Zugang zum Kurzarbeitergeld war wĂ€hrend der Pandemie beschlossen und zuletzt ĂŒber Verordnungen des Bundesministeriums fĂŒr Arbeit und Soziales mehrfach verlĂ€ngert worden. Der Entwurf zielt darauf ab, auch ĂŒber den 30. September 2022 hinaus die Möglichkeit zu haben, Sonderregelungen per Verordnung zu erlassen. Die VerordnungsermĂ€chtigungen sollen ausgeweitet werden, um fĂŒr die Bundesagentur fĂŒr Arbeit Vereinfachungen bei den PrĂŒfungen der Anspruchsvoraussetzungen des Kurzarbeitergeldes zu ermöglichen (Möglichkeit des Verzichts auf den Einsatz von Arbeitszeitguthaben und Urlaub zur Vermeidung der Kurzarbeit sowie Möglichkeit fĂŒr die Betriebe, die Anzeige von Kurzarbeit auch im Folgemonat noch vornehmen zu können). FĂŒr die pandemiebedingte Möglichkeit des anrechnungsfreien Hinzuverdiensts durch Aufnahme eines Minijobs wĂ€hrend der Kurzarbeit wird eine bis zum 30. Juni 2023 befristete VerordnungsermĂ€chtigung geschaffen.
Der Aufwand beim dreistufigen Kurzarbeitergeldverfahren bestehend aus Anzeige, vorlĂ€ufiger Bewilligung und AbschlussprĂŒfung ist nach Aussage von Anke Eidner von der BA enorm. Bei verstĂ€rkter Inanspruchnahme des Instruments brĂ€uchte es daher âneue Kriseninstrumenteâ. Die AbschlussprĂŒfungen fĂŒr 800.000 FĂ€lle aus der Pandemie seien aktuell noch offen. Dabei prĂŒfe die BA anhand der Angaben des Arbeitgebers, ob die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes korrekt war. Den zeitlichen Aufwand pro Fall bezifferte Eidner auf 290 Minuten. Derzeit verfĂŒge die BA ĂŒber keine finanziellen Reserven mehr und wĂ€re im Haushalt 2022 auf unterjĂ€hrige LiquiditĂ€tshilfen des Bundes angewiesen, betonte die SachverstĂ€ndige. Auch die Arbeitslosenversicherung könne die Kosten bei höherer Kurzarbeit nicht tragen.
Marlene Schubert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks bezeichnete das Kurzarbeitergeld als bewĂ€hrtes Kriseninstrument, das allerdings erhebliche SchwĂ€chen aufweise. Zu wĂŒnschen wĂ€re fĂŒr kleine und mittlere Unternehmen aufgrund des hohen Verwaltungsaufwands ein leichter handhabbares Instrument, das auch nicht so sehr âmitnahmeanfĂ€lligâ ist, sagte Schubert. Anna Robra von der Bundesvereinigung der Deutschen ArbeitgeberverbĂ€nde regte an, zu prĂŒfen, wie das Instrument fĂŒr eine massenhafte Inanspruchnahme verĂ€ndert werden könnte. Entscheidend sei, an den Ursachen, den EnergiemĂ€rkten, anzusetzen. Steven Haarke vom Handelsverband Deutschland sprach von einer positiven Resonanz, wobei eine Straffung des Verfahrens sinnvoll wĂ€re.
Susanne Uhl von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-GaststĂ€tten sagte, das Gastgewerbe benötige das Kurzarbeitergeld, wenn ein âEnergiepreisdeckelâ erst Mitte nĂ€chsten Jahres komme. Minijobs als Alternative hielt sie fĂŒr ânicht so gutâ. Stattdessen warb sie dafĂŒr, dass Kurzarbeitergeld armutssicher zu machen. Es dĂŒrfe nicht so gering sein, dass âdie Leute aus den Jobs gehenâ. Uhl plĂ€dierte zudem fĂŒr Aufstockungen, da sich die Preissteigerungen noch nicht in den Löhnen abbildeten. Die LĂŒcke werde umso gröĂer, wenn das Kurzarbeitergeld nur 60 Prozent des Nettogehalts ausmache.
Evelyn RĂ€der vom Deutschen Gewerkschaftsbund begrĂŒĂte die vorĂŒbergehende Weitergeltung der Kurzarbeiterregelung fĂŒr die Leiharbeit, solange dieser Branche eine Entlassungswelle drohe. Bei einer neuen krisenhaften Situation sollte ĂŒber die Finanzierung der Verwaltungskosten in der BA nachgedacht werden, empfahl sie. Oliver Zander vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall verwies darauf, dass in der Metall- und Elektroindustrie ĂŒberwiegend Vollzeit-ArbeitsverhĂ€ltnisse vorherrschten.
Professor Enzo Weber vom Institut fĂŒr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagte, die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt sei noch nicht krisenhaft, der ArbeitskrĂ€ftebedarf hoch. WĂŒrde sich die Energiekrise weiter verschĂ€rfen, wĂ€re das aus seiner Sicht als âauĂergewöhnliches VerhĂ€ltnisâ zu qualifizieren. Auch Weber sprach sich fĂŒr eine Finanzierung aus Steuermitteln aus, wenn Kurzarbeitergeld in groĂem Umfang gebraucht werde. Das Kurzarbeitergeld dĂŒrfe aber den Strukturwandel nicht behindern. Derzeit befinde man sich in einer vorĂŒbergehenden âSchocksituationâ, aber auch in einer Transformation. In der Pandemie hĂ€tten Betriebe zumachen mĂŒssen, in der Energiekrise komme es dagegen darauf an, dass der Betrieb weiterlĂ€uft. Auf Kurzarbeit sollte man seiner Auffassung nach setzen, wenn es kurzfristig zu einer Situation kommt, dass die Energieversorgung nicht mehr fĂŒr alle gewĂ€hrleistet ist.
Thoralf Pusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung berichtete, dass im November 2020 etwa die HĂ€lfte der Kurzarbeitenden in den Genuss von Aufstockungen gekommen seien, auch aufgrund tariflicher oder betrieblicher Vereinbarungen. Bei Kurzarbeitenden ohne Aufstockung hĂ€tten zu diesem Zeitpunkt viele von einer belastenden Situation gesprochen, da deren RĂŒcklagen aufgebraucht gewesen seien. Pusch hielt es fĂŒr richtig, ĂŒber die WiedereinfĂŒhrung einer aufstockenden Regelung nachzudenken.